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«Blockchain» – der digitale Fussabdruck für graue Energie

Graue Energie spielt beim Energieverbrauch eine bedeutende Rolle. Obwohl die Schweiz viele energieintensive Produkte importiert, gibt es nach wie vor keine Deklarationspflicht. Die Blockchain-Technologie könnte eine einfache Lösung sein, graue Energie zu deklarieren und lückenlos festzuhalten.

Von Moritz Bandhauer*

Ein Apfel vom nächsten Bauernhof hat ein relativ simples Leben: vom Samen zur Frucht, vom Baum in einen Behälter und hin zum/zur KonsumentIn. Der grösste externe Energieaufwand ist der Transport vom Baum zum Verkaufsstand. Bei einem Sportschuh wird es bereits schwieriger: Er besteht aus bis zu 65 Einzelteilen, die in verschiedenen Ländern und in über 300 Entwicklungsschritten zum Produkt gefertigt werden (Chea, L. et al, 2013). Aufgrund der geografisch und technisch komplexen Produktionskette haben Laufschuhe einen relativ grossen ökologischen Fussabdruck. Noch viel mehr Einzelteile und heiklere Rohstoffe sind bekanntlich für den Bau eines Smartphones notwendig. Dass die Produktion eines Smartphones weitaus mehr Energie verbraucht als der Gebrauch desselben, ist kaum sichtbar und oftmals unbekannt. Es ist dies graue Energie, die für Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung eines Produktes benötigt wird.

Bild: commons.wikimedia.org / Kelly Hofer

Graue Energie in der Gesamtenergiebilanz

In der Schweiz fliesst nur der im Inland angefallene Anteil der genutzten Energie in die Gesamtenergiebilanz mit ein. Nicht berücksichtigt werden dabei die Produktion und der Transport importierter Energieträger und Güter, also die graue Energie.

Das Beispiel Smartphone – zwei Drittel des Energieverbrauchs fallen bei der Herstellung an, ein Drittel bei der Benutzung durch die KonsumentInnen – zeigt, dass graue Energie oft mehr ausmacht, als man denkt (BFE, Energeia, Nr. 5/2017). Das Wissen um die graue Energie und deren Deklaration ist deshalb für die Transparenz und die Kostenwahrheit von grosser Wichtigkeit.

Untätige Schweiz

Die aktuellste Studie zu grauer Energie in der Schweiz datiert von 2007. Gemäss dieser BAFU-Studie erhöhen sich das Gesamtemissionen aufgrund grauer Emissionen um markante 78 %. Die Studie kommt denn auch zum klaren Schluss, dass eine Ökobilanz «alle im Ausland stattfindenden Prozesse der Wertschöpfungskette mit einschliessen» sollte (Jungbluth N. et al. (2007): Graue Treibhausgas-Emissionen der Schweiz 1990–2004). Doch bis heute beschränken sich die Bemühungen der Schweiz, hinsichtlich der grauen Energie mehr Transparenz zu schaffen, lediglich auf den Gebäudebereich (SIA – Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein (2010): Merkblatt SIA 2032 «Graue Energie von Gebäuden»). In keinem anderen Bereich wurden bis heute Richtlinien zur Berechnung und Deklaration von grauer Energie umgesetzt.

«Blockchain» für Transparenz bei grauer Energie

Das wohl meistgenannte Argument gegen eine Deklarationspflicht der grauen Energie und damit gegen eine wahrheitsgetreue Darstellung des schweizerischen Energieverbrauchs ist die zu komplexe Berechnung. Um die graue Energie eines Produkts genau zu ermitteln, müsste jeder einzelne Schritt der Wertschöpfungskette mit in die Energiebilanz einbezogen werden.

«Blockchain», eine Technologie, die zuletzt dank der Kryptowährungen – allen voran Bitcoin – in aller Munde ist, könnte genau dies mit wenig Aufwand ermöglichen. Wie der Name sagt, entspricht die Blockchain-Technologie einem Datensatz beziehungsweise einer Kette von Informationspaketen. Im Falle der Kryptowährungen wird jede Transaktion auf dem Rechner aller beteiligten Personen in einem Code gespeichert. Jede Transaktion hinterlässt so einen «Fingerabdruck» der nicht manipulierbar ist und genau zurückverfolgt werden kann. Das macht die Blockchain-Technologie sehr sicher.

Mittlerweile wird diese Technologie bereits für verschiedene Verkaufssysteme (wie Bitcoin) oder auch für die dezentrale Energieversorgung verwendet, was z.B. eine direktere Kontrolle über den eigenen Energieverbrauch ermöglicht (businesswire.com, 2016). Genau so wird es dank der Kette von Informationspaketen viel einfacher, die graue Energie bei jedem Schritt im Lebenszyklus eines Produkts umgehend und lückenlos zu ermitteln. Damit garantiert die Blockchain-Technologie den KonsumentInnen mehr Transparenz. Und vielleicht verhilft «Blockchain» zukünftig sogar, der Kostenwahrheit ein bisschen näher zu kommen.

Bild: commons.wikimedia.org / Kelly Hofer

Die Schweiz müsste vorangehen

Die komplexe Berechnung der grauen Energie und der damit verbundene Aufwand werden von den wirtschaftlichen Akteuren gemieden. Folglich wird die Deklaration der grauen Energie in der Schweiz bis heute tunlichst verhindert. Nebst den bisherigen Life-Cycle-Assessments (LCA), bei welchen durch (zeit-)intensive Recherchen ganze Wertschöpfungsketten offengelegt wurden, könnte die Blockchain-Technologie der einfachen und fairen Berechnung der grauen Energie völlig neue Möglichkeiten eröffnen.

Doch der Bundesrat warnt vor finanziellen Einbussen für die Schweiz: Er befürchtet, dass die Deklaration der grauen Energie ein technisches Handelshemmnis darstellen und eine verminderte Attraktivität des Wirtschaftsstandorts Schweiz zur Folge haben könnte. Um jeden Preis soll vermieden werden, dass globale Unternehmen ihre wirtschaftlichen Leistungen ins Ausland verlagern. Doch die Schweiz fungiert als Drehscheibe so mancher Produktionsketten und Dienstleistungen. Es ist also höchst fraglich, ob die Deklaration von grauer Energie auf die Bedeutung der Schweiz als zentrales Bindeglied im Welthandel wirklich einen negativen Einfluss hätte. Viel eher könnte die wirtschaftsstarke Schweiz zum innovativen Vorreiter im Bereich der Energietransparenz und Nachhaltigkeit werden – und von diesem Wissen in Zukunft profitieren.

*Der Autor

Reto Knutti

Moritz Bandhauer

Klimawissenschaftler, ehemaliger SES-Praktikant, Projektleiter Klimaschutzprojekte myclimate

www.myclimate.org

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