Wenn die Behörden die Einnahme von Jodtabletten anordnen, hat sich in einem der Schweizer AKW eine Katastrophe ereignet: Die befürchtete Kernschmelze ist eingetreten, radioaktive Stoffe treten aus. Ein unwahrscheinliches Szenario? Der Bund hält das Risiko immerhin für so hoch, dass er nach Fukushima die Verteilung von Jodtabletten ausgedehnt hat – von 25 auf 50 Kilometer Umkreis um die Atomkraftwerke.
Nun wollte die Schweizerische Energie-Stiftung SES mit einer Online-Umfrage ermitteln, wie gut die Menschen auf einen Atomunfall vorbereitet sind. 9'405 Menschen haben an der Umfrage teilgenommen; davon leben oder arbeiten 8'155 Befragte im Verteilgebiet der Jodtabletten. Erfahren Sie hier die erstaunlichen Umfrage-Resultate.
Überblick der wichtigsten Erkenntnisse:
- 20,6 Prozent der Befragten sind unzulänglich über die Wirkung von Jod informiert.
11,7 Prozent meinen irrtümlich, dass Jodtabletten auch vor radioaktiven Stoffen wie Cäsium und Strontium schützten. Und 8,9 Prozent sagen, dass sie nicht wissen würden, wovor Jod schütze.
- Es herrscht grosse Unsicherheit, ob Kinder im Ernstfall Jod einnehmen sollen.
54,8 Prozent der Befragten wissen nicht, ob Jod für Kinder geeignet ist. Und 9,3 Prozent unterliegen dem Irrtum, dass Kindern kein Jod verabreicht werden sollte.
- Nur wenige wissen, dass über 45-Jährige vor der Einnahme von Jodtabletten eine Ärztin oder einen Arzt fragen sollten.
Während über die Hälfte der Befragten davon ausgeht, dass über 45-Jährige bei einer Atomkatastrophe unbedingt Jod einnehmen sollten, kennen nur 7,2 Prozent die Empfehlung des Bundes für diese Altersgruppe, eine ärztliche Fachperson zu konsultieren.
- 15,8 Prozent haben ihre Jodtabletten verlegt oder verloren.
Hochgerechnet auf die 3,92 Mio. erwachsenen Personen im Verteilgebiet, entspricht das rund 619'000 möglichen Verlusten. Weiter geben 5,7 Prozent (223'440 Personen) an, kein Jod erhalten zu haben, obwohl sie in der Risikozone leben.
Unser Fazit
Die Jodtabletten-Umfrage enthüllt eine beträchtliche Unwissenheit in der Bevölkerung. Selbstverständlich könnten sich die Menschen im Ernstfall durch Studium von Packungszettel und Webseiten informieren – doch ob alle die Geduld dazu aufbringen und die relevanten Infos finden, ist zu bezweifeln.
Die rechtzeitige Einnahme von Kaliumjodid kann im Notfall Leben retten. Darum wäre es sehr wünschenswert, dass der Bund besser informiert. Bereits im Herbst 2023 bietet sich Gelegenheit dazu, denn es werden neue Jodtabletten an die Bevölkerung verteilt. Die Schweizerische Energie-Stiftung SES fordert, dass das Bundesamt für Gesundheit (BAG) diese Chance nutzt und die Menschen umfassend über die Anwendung von Jod in Kenntnis setzt. So sollten zum Beispiel alle über 45-Jährigen erfahren, dass sie frühzeitig mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt über die Einnahme von Jod sprechen sollten – im Fall einer Atomkatastrophe wäre ein solcher Arztbesuch wohl kaum mehr möglich.
Möchten Sie es genauer wissen?
Hier finden das detaillierte Resultat der Umfrage.
Stephanie-Christine Eger
Leiterin Fachbereich Atomenergie
+41 44 275 21 20
stephanie.eger@energiestiftung.ch
Kommentar von Fabian Lüscher
Wirkliche Sicherheit schafft einzig der Atomausstieg.
Jodtabletten bieten keinen umfassenden Schutz vor radioaktiven Stoffen. Das Kaliumiodid ist im Katastrophenfall äusserst wichtig, weil es die Schilddrüse daran hindert, radioaktives Jod aufzunehmen. Andere radioaktive Stoffe wie Cäsium und Strontium würden bei einem schweren Atomunfall jedoch ebenfalls austreten und Mensch und Umwelt stark gefährden.
Die dramatischen Folgen des Super-GAU in Fukushima stellen die Zukunft der schweizerischen Atomindustrie seit längerem in Frage. Im Jahr 2017 haben die Stimmberechtigten mit der Annahme der Energiestrategie entscheiden, dass in der Schweiz keine neuen AKW gebaut werden dürfen. Trotzdem beschwören die Gegner:innen der Energiewende aktuell abermals ein Revival der der Atomkraft und werben für eine Aufhebung des Neubauverbots. Sie verkennen, dass neue Atomkraftwerke auch wirtschaftlich keinen Sinn mehr machen. So werden die grossen Schweizer Energieversorger nicht müde zu betonen, dass sie Investitionen in neue AKW ausschliessen.
Statt der Illusion von neuen Reaktoren nachzuhängen, sollte die Schweiz den Ausbau der erneuerbaren Energien entschlossen vorantreiben. Mit der bevorstehenden Abstimmung über den breit abgestützten Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative und den Wahlen im Herbst 2023 gibt es dieses Jahr zwei politische Weichenstellungen für eine echte Energiewende. Die Schweizerische Energie-Stiftung SES wird sich in diesem entscheidenden Jahr mit aller Kraft engagieren – hoffentlich mit Ihnen an unserer Seite.
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