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Energie und Umwelt - Energie intelligent nutzen

Stromverbrauch verstehen und verbessern

Zum zweiten Mal in Folge steigen die Strompreise, mancherorts markant. Das ist ärgerlich – kann aber auch eine Chance sein. Höhere Kosten schaffen Anreize, den eigenen Stromverbrauch kritisch zu hinterfragen und zu optimieren. Unsere Autorin hat sich auf die Suche nach Stromsünden und Stromfresser in ihrem Haushalt gemacht.

Von Isabel Planta, Geojournalistin
Fotos von Gerry Amstutz

Kilowattstunden haben mich bislang nicht interessiert. Nicht weil ich einen sorglosen Umgang mit Energie pflegen würde. Ganz im Gegenteil. Ich habe kein Auto, fliege nicht und wasche erst, wenn die Maschine richtig voll ist. Ich hasse Geräte im Standby-Betrieb und laufe im Winter nicht bei 25 Grad Raumtemperatur im T-Shirt durch die Wohnung. Kilowattstunden haben mich bisher nicht interessiert, weil ich schlichtweg davon ausgegangen bin, dass mein energetischer Fussabdruck ohnehin im grünen Bereich ist. War ich zu blauäugig?

Die Ereignisse der vergangenen Jahre – von der befürchteten Energiemangellage und dem wiederholten Strompreisanstieg infolge des Ukrainekriegs bis zu klimawandelbedingten Rekord-Waldbränden im Mittelmeerraum und Rekord-Gletscherschmelzen in den Alpen – haben einmal mehr verdeutlicht: Wir müssen vorwärts machen mit der Energiewende. Weg von den klimaschädlichen fossilen Rohstoffen, die uns vom Ausland abhängig machen, hin zu erneuerbaren Energien, die wir selber produzieren können. Doch wenn Ölheizungen und Verbrennerfahrzeuge grossflächig durch Wärmepumpen und E-Autos ersetzt werden, brauchen wir bedeutend mehr Strom. Eine Studie des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen geht davon aus, dass der Strombedarf bis 2050 infolge der Elektrifizierung von Mobilität und Wärme um 25 bis 40 Prozent steigen wird. Effizienzmassnahmen, wie sie im Energiegesetz festgeschrieben sind, sollen diesen Anstieg abfedern. Allerdings rufen Effizienzsteigerungen bekanntermassen Rebound-Effekte hervor: LED-Lampen brauchen weniger Strom, werden dafür häufiger länger brennen gelassen; Fernsehbildschirme sind heute viel sparsamer, aber auch viel grösser als früher. Für eine nachhaltige Energieversorgung braucht es nicht nur effizientere Technologien, sondern auch eine Verhaltensänderung auf Seiten der Verbraucherinnen und Verbraucher. Das wiederum setzt Wissen voraus. Höchste Zeit also, meinen Stromverbrauch genauer zu durchleuchten.

Auf der Webseite energieschweiz.ch des Bundesamts für Energie stosse ich auf das Tool PERLAS, eine digitale Energieberatung für Haushalte. Dieser Dienst analysiert den persönlichen Stromverbrauch, zeigt Einsparpotenziale auf und empfiehlt auf den Haushalt zugeschnittene Massnahmen. Allerdings funktioniert das nur, wenn der Haushalt mit einem digitalen Stromzähler, einem sogenannten Smart Meter, ausgestattet ist. Anders als die alten, analogen Stromzähler, die nur einmal im Jahr händisch abgelesen werden, weisen Smart Meter den Stromverbrauch mindestens im Viertelstundentakt aus. Man weiss also viel genauer, wann man wie viel Strom verbraucht und kommt damit stromfressenden Geräten oder Gewohnheiten einfacher auf die Schliche – eine wichtige Voraussetzung für Verhaltensänderungen und Stromsparmassnahmen. Bis Ende 2027 müssen laut Stromversorgungsverordnung 80 Prozent aller privaten Haushalte über einen Smart Meter verfügen. Stand Februar 2023 waren es allerdings erst 26 Prozent, wie eine Recherche des Kassensturz ergab. Mein Haushalt gehört leider nicht zum smarten Viertel. PERLAS hilft mir also nicht weiter. Ich muss es auf die analoge Art versuchen. Anruf bei meinem Energieversorger, dem Elektrizitätswerk der Stadt Zürich ewz: «Grüezi, bieten Sie Energieberatungen an?»

Aus und doch an

Wenige Tage später steht Energieberater Silvan Graf vor der Tür, denn eigentlich bietet ewz Beratungen zu Stromsparen im Haushalt nur telefonisch, per Video-Call oder direkt im Kundenzentrum an. Bevor wir uns auf die Suche nach versteckten Stromfressern und unerkannten Stromsünden machen, klappt Graf seinen Laptop auf. «Schauen wir uns einmal Ihren Stromverbrauch an.» Ein Balkendiagramm ist zu sehen. 1914 Kilowattstunden steht beim letzten Balken. So viel Strom haben wir vergangenes Jahr verbraucht. 1914 Kilowattstunden für einen Zwei-Personen-Haushalt in einer 3,5-Zimmer-Wohnung, Hund ausgenommen. Der kostet uns zwar auch viel Energie, aber die bemisst sich eher in Kalorien und Nervenzellen als in Kilowattstunden. Laut den Daten im Kunden-Portal liegen wir mit unserem Verbrauch knapp über dem Durchschnitt unserer Haushaltskategorie. Das hätte ich nicht gedacht. «Finden wir heraus, woran es liegt», sagt Graf und zieht ein Strommessgerät aus der Tasche.


Erste Station: Das Büro. Mein Partner und ich arbeiten mehrheitlich im Home Office. Das mache viel aus, sagt Graf. Nicht nur weil Rechner und Bildschirme den ganzen Tag laufen, sondern auch weil wir mittags kochen. «Sind die Bildschirme nachts aus?», will Graf wissen. «Ja, sind sie.» – «Also Sie drücken den Ausschaltknopf?» – «Nein, die Bildschirme haben keinen Ausschaltknopf. Auch keine Standby-Lampe. Die sind dann einfach aus und brauchen keinen Strom … glaube ich.» – «Das wollen wir mal prüfen.» Graf schliesst den Bildschirm, der nach meiner Definition jetzt eigentlich aus sein sollten, an sein Strommessgerät an. Das zeigt 7 Wattstunden an. Nicht viel, aber mehr als Nichts. Immerhin über 40 unnötige Kilowattstunden pro Jahr.

Die Tariffrage

Versteckte Stromfresser können seit diesem Jahr richtig ins Geld gehen. Je nach Stromanbieter, dem man an seinem Wohnort angeschlossen ist, kostet die Kilowattstunde heuer bis dreimal mehr als im Vorjahr. Und im nächsten Jahr wird es erneut um durchschnittlich 18 Prozent teurer. Das liegt an den wegen des Ukrainekriegs immer noch hohen Preisen auf dem Strommarkt – und an der Art, wie die Elektrizitätswerke ihre Grundversorgungstarife festlegen. Wenn sie über ihre Eigenproduktion hinaus für ihre Unternehmenskunden teuren Strom auf dem Markt beschaffen müssen, können sie diesen den grundversorgten Kundinnen und Kunden anteilsmässig belasten. Der Konsumentenschutz kritisiert diese Praxis und hat jüngst in einem Offenen Brief an Bundesrat Albert Rösti ein Kontingentsystem für Strom gefordert: Jede Person soll 500 Kilowattstunden pro Jahr zugute haben, die nach den für die Schweizer Stromproduktion angefallenen Kosten abgerechnet werden – unabhängig von den Marktpreisen. Für jede Kilowattstunde, die man über dieses Kontingent hinaus konsumiert, bezahlt man den vom Stromanbieter festgelegten Tarif. «Mit dem Kontingent wären die Grundbedürfnisse wie Kochen, Waschen und Licht gedeckt», sagt Marius Wiher vom Konsumentenschutz. «Wer einen Whirlpool hat oder nicht auf die üppige Weihnachtsbeleuchtung verzichten will, zahlt dann einfach mehr. Das ist nur fair.»

Progressive Stromtarife, wie der vom Konsumentenschutz vorgeschlagenen Basistarif500, könnten dazu animieren, Strom sparsamer und effizienter zu nutzen. Entscheidend für eine nachhaltige Energiezukunft ist aber nicht nur, wieviel Strom wir verbrauchen, sondern auch wann wir ihn verbrauchen. Tagsüber sowie im Winter ist der Strombedarf besonders hoch. Nicht nur die Stromproduktion, sondern auch die Speicherkapazitäten und das Netz müssen auf diese Maximalbelastung ausgelegt sein. Dynamische Stromtarife könnten helfen, diese Lastspitzen zu glätten. Sie schaffen über den Preis Anreize, den Strom dann zu nutzen, wenn die Produktion hoch oder das Netz weniger stark ausgelastet ist. Mit dem bei vielen Schweizer Stromversorgern üblichen Hoch- und Niedertarifsystem haben wir schon so etwas in der Art: Nachts und am Wochenende ist der Strom günstiger. «Echt» dynamische Tarife variieren allerdings stündlich, weil sie, wie etwa in der EU, an den Handelspreis auf dem Strommarkt gekoppelt sind. Als Verbraucher zahlt man für die Kilowattstunden also so viel, wie sie am Markt gerade kostet. Wie wirkt sich das auf das Stromnutzungsverhalten aus?

Ich frage bei Tibber, einem der grössten Anbieter dynamischer Tarife in Deutschland, nach. «Unsere Kunden verbrauchen im Durchschnitt nicht weniger Strom als Verbraucher in Festpreis-Tarifen», sagt Tibber-Sprecherin Laura Schlensak. «Aber sie verbrauchen ihn nachhaltiger und grüner. Denn die günstigen Stunden sind oft die mit dem grüneren Strommix.» Um von dynamischen Tarifen zu profitieren, muss man die Strompreise verfolgen (dabei helfen Apps), seinen Stromverbrauch kennen (dazu braucht es Smart Meter) und flexibel darauf reagieren können. Aus Stromverbauchern werden Stromversteher, wie es Schlensak beschreibt. Marius Wiher vom Konsumentenschutz sieht das kritisch. «Die wenigsten Konsumenten haben Zeit und Lust, sich tagein, tagaus mit der Strombörse zu beschäftigen und ihren Verbrauch ständig danach auszurichten.» Dynamische Tarife bergen noch ein anderes Risiko: Wenn die Strompreise am Markt durch die Decke gehen und hoch bleiben wie letztes Jahr, wird es richtig teuer. «Preissprünge machen sich überall bemerkbar, bei Tibber unmittelbar und bei Anbietern von Fixpreis-Tarifen erst mittelfristig», relativiert Schlensak. «Anders als bei Fixpreistarifen profitieren Kunden mit dynamischen Tarifen aber auch unmittelbar wieder von sinkenden Preisen.» Die SES sieht in dynamischen Stromtarifen ein effektives Mittel, um Lastspitzen zu vermeiden und – wenn richtig umgesetzt – Kosten einzusparen. «Es gibt Tarifmodelle mit einer integrierten Preisabsicherung, die vor hohen Ausschlägen schützen oder progressive Elemente enthalten», weiss Thomas Wälchli von der SES. Zudem könnten Geräte mit einem hohen Stromverbrauch technisch so gesteuert werden, dass sie hauptsächlich in Zeiten mit tiefen Marktpreisen Strom beziehen. Denkbar wäre auch eine «Strompreis-Ampel» in der Wohnung, die in Echtzeit den aktuellen Tarif anzeigt, so Wälchli. «Die Grundlagen für eine verbraucherfreundliche Einführung von dynamischen Energietarifen in der Schweiz sind vorhanden.»

Trotzdem sind wir hierzulande von flexiblen Modellen in der Grundversorgung noch weit entfernt. Beim Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen VSE hat man das Thema aber auf dem Schirm. «Wir evaluieren derzeit mit unseren Mitglieder, welche Produkte in Zukunft für die Kunden sinnvoll sein könnten», sagt Nadine Brauchli, Bereichsleiterin Energie beim VSE. Es gebe viele offene Fragen, vor allem regulatorischer Art. «Netzseitig gibt es bereits Flexibilitätsoptionen mit den sogenannten unterbrechbaren Verträgen. Der Netzbetreiber kann bei Bedarf beispielsweise die Wärmepumpe des Kunden für ein paar Stunden ausschalten.» Bisher sei die Nachfrage nach unterbrechbaren Verträgen klein, wohl weil es preislich noch nicht attraktiv genug ist, vermutet Brauchli.

Gutem Brot den Stecker ziehen? Niemals!

Zurück zu meiner Energieberatung. Nach dem Büro haben wir das Wohnzimmer schnell erledigt. Hier ist nur der Beamer von Interesse, der zwar zugegebenermassen eine viel schlechtere Energieeffizienz hat als ein Fernseher, dafür aber auch nicht so häufig läuft und erst recht nie als Hintergrundberieselung. In der Küche angekommen, geht’s ans Eingemachte. Oder besser gesagt, ans Gebackene: Brot, Croissants, Pizza – Backen ist unsere Leidenschaft. In einem durchschnittlichen Schweizer Haushalt fallen rund 5 Prozent des Energieverbrauchs durch Kochen und Spülen an, der drittgrösste Posten hinter Heizen mit über 60 Prozent und Warmwasser mit 15 Prozent. Haushalte mit Wärmepumpen, Elektroboilern oder Elektroheizungen können durch sparsames Heizen – 20 bis 21 Grad Raumtemperatur – und Massnahmen wie Duschsparbrausen oder Dusche mit Wärmerückgewinnung also viel einsparen. Wir sind zum Glück an ein Fernwärmenetz angeschlossen und brauchen für Warmwasser und Raumwärme keinen Strom. Dafür umso mehr fürs Backen. «Beim Backen kann man aufs Vorheizen verzichten», sagt Silvan Graf. «Definitiv nicht bei Brot und Pizza», sage ich. Wenn ich zwischen Stromsparen und gutem Brot entscheiden muss, dann werde ich mich immer für gutes Brot entscheiden. Man muss Prioritäten setzen.

Am Ende der Energieberatung bin ich erleichtert. Und ernüchtert. Erleichtert, weil meine Selbstwahrnehmung mich nicht getrogen hat: Wir nutzen unseren Strom mit Bedacht und haben, wenn man das Home Office ausklammert, keinen überdurchschnittlichen Verbrauch. Ernüchtert bin ich, weil wir bedeutendes Sparpotenzial hätten, das wir nicht ausschöpfen können: Unsere Spül- und Waschmaschine sind bald 20 Jahre alt – als Mieter können wir sie aber nicht einfach so durch energieeffizientere Geräte ersetzen. Und solange wir keinen Smart Meter bekommen, tappen wir weitestgehend im Dunkeln. Was bleibt, sind kleine Optimierungen. Den Ofen heizen wir nur noch vor, wenn es sein muss. Den Dampfabzug reinige ich regelmässiger, damit er auch auf Stufe 1 ausreichend zieht. Den Kühlschrank haben wir von 5 auf 7 Grad hochgeregelt. Und die Bildschirme hängen jetzt zusammen mit dem Router an einer Zeitschaltuhr, die nachts den Strom kappt. Unsere Stromeinsparungen dürften sich pro Jahr auf gut 5 Prozent belaufen – ohne Komforteinbusse.
Nicht schlecht, oder?

Digitale Energieberatung

Online-Anwendungen können einfach, schnell und kostenlos Hinweise auf Stromfresser und ungünstige Stromverbrauchsgewohnheiten geben. Für Haushalte mit Smart Meter empfiehlt sich die Digitale Energieberatung perlas.ch des Bundesamts für Energie. Wer keinen Smart Meter hat, kann seinen Stromverbrauch mithilfe von energybox.ch durchleuchten.

Isabel Plana

Isabel Plana

Freischaffende Geojournalistin

www.isabelplana.com

Gerry Amstutz

Fotografie

Gerry Amstutz

gerryamstutz.com

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