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Uran – Das Erz des Elends

In der Schweiz liegt eine Initiative auf dem Tisch, die den Bau neuer Atomkraftwerke wieder erlauben will. Von einer klimafreundlichen Energieform ist die Rede und von neuen, besseren Reaktortechnologien. Dabei geht vergessen, dass die Atomenergie bereits grosse Umweltschäden anrichtet, noch bevor die erste Kilowattstunde in einem Kraftwerk produziert ist: beim Uranabbau. Die SES hat mit Anna Rondon, einer betroffenen Navajo-Aktivistin aus dem Südwesten der USA, gesprochen. Sie kämpft noch heute mit den Folgen des Uranabbaus, mit dem die Atomindustrie ihre Heimat nachhaltig zerstört hat.

2021 wurden weltweit über 48'000 Tonnen Uran produziert. Abbgebaut wird der Rohstoff für militärische und zivile Atomprogramme in Minen in Kasachstan, Australien, Kanada, Russland, Niger, Namibia, Usbekistan oder den USA. Oftmals treffen die Auswirkungen des Uranabbaus indigene Völker. So finden sich rund 70 Prozent der bekannten Uranvorräte Nordamerikas auf indigenem Land.  Vor rund hundert Jahren fing die Ausbeutung der Uranvorräte dort an. Das Atomzeitalter ist eng mit der Geschichte indigener Völker verwoben – mit einer «Geschichte der Zerstörung».  Ein Gespräch mit Anna Rondon.

SES: Frau Rondon, was ist aus Ihrer Sicht das grösste Problem der Atomenergienutzung?

Anna Rondon: Die Ignoranz, die Gier und der Egoismus derjenigen Wirtschaftskreise, die an der Atomkraft festhalten. Die Weltgemeinschaft muss die Wahrheit verstehen. Wir müssen die Öffentlichkeit aufklären. Das tun wir schon seit den siebziger Jahren. Leider hören diese Kreise nicht zu. Die Uranminen auf Navajo Land sind noch immer nicht dekontaminiert worden. Eine von drei Wasserquellen ist nach wie vor mit Uran verseucht.  

Können Sie die Auswirkungen des Uranabbaus auf ihre Heimatregion genauer beschreiben?

Geologische Untersuchungen der US-Regierung fanden 1919 in Utah Uran, das abgebaut und im Zweiten Weltkrieg für militärische Zwecke verwendet wurde. Weitere Gebiete gerieten in den Fokus, auch in New Mexico. Ohne dass die Regierung der Navajo Nation dies genehmigte oder Kenntnis davon hatte, wurden verschiedene Gebiete unseres Reservats beansprucht. Es passierte einfach. In der Gegend um Shiprock begann der Uranabbau in den 1940er Jahren. Über dreitausend Diné, wie wir Navajo uns selber nennen, arbeiteten in den Urangruben, ohne spezielle Arbeitskleidung und ohne jeglichen Strahlenschutz. Bedeckt mit radioaktivem Staub gingen sie nach Hause zu ihren Familien und verseuchten diese, ohne es zu wissen. Sie fütterten ihre Kinder mit Babynahrung, die sie mit kontaminiertem Wasser zubereiteten. Oft erhielten sie als Lohnaufbesserung verseuchtes Baumaterial aus den Abraumhalden, um neue Häuser zu bauen. Im Church Rock Gebiet, am südlichen Rand des Navajo-Reservats, begann der Uranabbau in den 1970er Jahren. 1986 existierten dort 1'500 Uranminen, deren Rohstoffe auch für die zivile Nutzung der Atomkraft eingesetzt wurde. Diese sind inzwischen stillgelegt.

War damals nicht bekannt, dass die Bergarbeiter schädlicher, radioaktiver Strahlung ausgesetzt sind?

Natürlich existierten schon damals wissenschaftliche Studien, die die negativen Auswirkungen auf die Gesundheit belegten. Die Regierung wusste das, aber die Mineure waren nicht informiert. Die Bergbaufirmen im ganzen Land haben sich an einem klaren Skript orientiert: «Alles ist sicher», lautete ihre Botschaft. Sicherheitsbeamte wurden instruiert, was sie sagen durften und was nicht. Sie haben uns angelogen.

Anna Rondon (Diné/Kinya’aa’aanii Clan) engagiert sich seit Jahrzehnten gegen den Uranabbau und den atomaren Wahnsinn, der seinen Anfang auf dem Land der Indigenen nimmt. Im Rahmen ihrer Tätigkeiten für das Southwest Indigenous Uranium Forum und der Navajo Nation Green Energy Commission war sie gegen den Uranabbau aktiv, setzte sich für erneuerbare Energien auf dem Reservat ein und ist eine leidenschaftliche Fürsprecherin für die Rechte indigener Völker. Heute ist sie im Vorstand von Beyond Nuclear und Projektdirektorin des New Mexico Social Justice and Equity Institute.
Die SES hat mit Anna Rondon anlässlich eines Besuchs in der Schweiz im Herbst 2022 gesprochen. Das Gespräch wurde von Incomindios, der Schweizer Menschenrechtsorganisation für Indigene Völker, vermittelt. Die SES arbeitet seit vielen Jahren mit Incomindios zusammen.
Foto: SES / Nils Epprecht (2022)

In welcher Dimension müssen wir uns den Schaden durch den Uranabbau vorstellen?

Die Dimensionen sind gewaltig. Das Navajo-Gebiet war besonders attraktiv, weil das Uran so nahe an der Oberfläche lag. Zu Beginn wurde es im Tagebau gewonnen. Sie mussten nur die Oberfläche des Bodens abtragen und konnten mit geringem Aufwand das Uranerz freilegen. Und so wurden riesige Flächen kontaminiert, das Grundwasser verseucht – mit den bekannten gesundheitlichen Folgen. Die Bergbaufirmen übernahmen keine Verantwortung. Aus ihrer Sicht war für das indigene Land die Regierung zuständig. Der Bundesser Staat New Mexico selber bezeichnete dieses Gebiet offiziell als «geopfertes Land», da die Regierung selber nicht wusste, wie die Umweltschäden wieder zu beheben seien – und die immensen Kosten scheute. Erst später wurde das Uran im Untertagebau gewonnen. Den grossen Schaden richtete aber der Tagebau an. Die Abraumhalden wurden nicht gesichert. Achtzig Prozent des dort liegenden Gesteins strahlt noch immer radioaktiv, der Wind verteilt den Staub über grosse Strecken.

Und haben sich die Navajo gegen diese Umweltsünden gewehrt?

Um 1973 begannen die Menschen, ihre Stimme zu erheben. Sie machten sich Sorgen. Warum werden wir krank? Und warum gibt es in den Gemeinden so viele Witwen? Daraufhin hat sich Widerstand formiert und die Navajo haben Prozesse, etwa gegen die Firma Kerr-McGee, angestrengt. Gegen Kerr-McGee haben wir letzten Endes gewonnen und 1,2 Milliarden Dollar erhalten. 900 Millionen Dollar gingen an die Anwälte für ihre Dienste. Aber dieses Geld ist immer noch da. 1990 hat der U.S. Kongress den «Radiation Exposure Compensation Act» erlassen, woraufhin weitere betroffene Navajo-Familien Entschädigungen erhielten.

Wie ich schon sagte ist Aufklärung ein zentraler Aspekt. 2005 las der U.S.-Kongressabgeordnete Harvey Waxman in der L.A. Times einen Artikel über die Umweltschäden, die der Uranabbau im Navajo-Reservat angerichtet hat, und kontaktierte die Navajo Nation. Zehn Witwen aus den Reihen unserer Ältesten konnten daraufhin in Washington vorsprechen. Daraus resultierte ein Zehn-Jahres-Plan für Aufräumarbeiten in unserem Reservat, der seither schon mehrmals verlängert worden ist. Allerdings ist der Plan bis heute noch nicht umgesetzt, die Abraumhalten sind noch immer da. Wir müssen also weiter für unsere Rechte kämpfen.

Die Minen sind also nach wie vor noch nicht dekontaminiert?

1986 begannen sie in Cameron, Arizona, nahe des Grand Canyon, Uranminenabfälle zu beseitigen. Die Methode bestand darin, den verseuchten Boden mit einem halben Meter Erde zu bedecken. Auch in New Mexico wurde diese Methode angewandt. Wir haben kürzlich ein solches Minengebiet besichtigt. Dieser halbe Meter Erde ist inzwischen teilweise erodiert, die Rückstände aus der Erzaufbereitung wieder freigelegt. Und jetzt verbläst der Wind den Uranstaub über weite Strecken. Von «Dekontaminierung» kann keine Rede sein. Und das betrifft ja nicht nur uns, denn der Wind weht bis zur Ostküste. Das hat Auswirkungen auf alle, so wie die Folgen von Fukushima auch den US-Bundesstaat Washington betroffen haben.

Für die Navajo hat der Schaden aber auch eine spirituelle Dimension. Uran sollte nicht freigesetzt werden. Sein Platz ist in der Erde. Das hat man uns gelehrt. Und das Volk der Navajo hat nun die Wahl zwischen gelbem Maispollen und Yellow Cake, dem gelben, pulverförmiges Gemisch von Uranverbindungen, das nun wieder in die Umgebung gelangt. Denn Maispollen und Yellow Cake sehen sich sehr ähnlich. Wenn man sie nebeneinander legt, kann man den Unterschied kaum erkennen. Und Maispollen sind ein zentrales Element in religiösen Zeremonien. Sie sind das, womit wir beten.

Wird heute im Navajo-Gebiet immer noch Uran abgebaut?

2005 hat die Regierung der Diné ein Gesetz zum Schutz unserer natürlichen Ressourcen erlassen, das den Abbau und Transport von Uran auf unserem Stammesland verbietet. Das ist die Frucht von jahrelanger, harter Arbeit. Wir haben Zusammenkünfte organisiert, über 700 Leute mobilisiert und minutiös Beweise zuhanden unseres Stammesrats gesammelt.

Einige Kreise in der Schweiz halten die Atomenergie für eine umweltfreundliche Energiequelle, die zur Bewältigung der Klimakrise beitragen könnte. Nachdem die Stimmbevölkerung vor 5 Jahren den Atomausstieg beschlossen hat, liegt nun sogar eine neue Initiative auf dem Tisch, die den Bau von Atomkraftwerken wieder ermöglichen will. Was sagen Sie dazu?

Das Interesse der zivilen Nutzung der Atomenergie besteht im kommerziellen Betrieb von Reaktoren, um damit Geld zu verdienen. Dieser Phase vor- und nachgelagert, vom Uranabbau bis hin zur Entsorgung des Atommülls, gibt es aber eine Reihe von Problemen, welche die vermeintliche Nachhaltigkeit zunichte machen. Wenn den Schweizerinnen und Schweizern ihre Kinder und die zukünftigen Generationen wichtig sind, sollten sie sich richtig informieren. Schauen sie die «Navajo Birth Cohort»-Studie aus dem Jahr 2013 an. Im Körper jedes dritten Neugeborenen wurde Uran nachgewiesen. Die Werte entsprechen denen eines erwachsenen Mannes, der seit Jahren neben einer Uranmine lebt. Ich denke, die Menschen begreifen das Ausmass der Folgen des Uranabbaus erst so richtig, wenn sie Bilder dieser Kinder sehen. Oder wenn sie die Geschichten über die Auswirkungen von abgereichertem Uran im Irakkrieg hören und sehen können. In unserem Reservat kam ein Soldat aus dem Golfkrieg zurück. Er schwängerte seine Frau. Drei Monate später hatte sie eine Fehlgeburt, der Fötus war schwer missgebildet. Man nennt es das «burning semen syndrome». Es hat jetzt einen eigenen Namen. Ich rate den Menschen in der Schweiz also, sich wirklich zu informieren, egal wie schockierend und schmerzhaft das ist. Sie müssen die Wahrheit erfahren.

Marcel Hänggi

Valentin Schmidt

Mediensoziologe. Leitete von 2015 bis 2022 die Kommunikation der Schweizerischen Energie-Stiftung SES.

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