Schweizer Atomstrom abhängig von Russland
Marcel Tobler,
Die vorliegende SES-Recherche fasst den aktuellen Wissensstand zusammen und kontextualisiert die verfügbaren Daten aus Handelsstatistiken, technischen und finanziellen Berichten. Daraus ergibt sich eine umfangreiche Datenanalyse, die die Beziehungen zwischen dem russischen Atom-Konzern Rosatom und der Schweiz detailliert nachzeichnet.
Rosatom: wirtschaftlich und militärisch bedeutend
Rosatom ist eine Staatskorporation mit über 460 Unternehmen und rund 360'000 Mitarbeitenden. Sie verantwortet sowohl das militärische als auch das zivile Atomprogramm Russlands. Die Staatskorporation kann als institutionelle Erbin des sowjetischen Atomministeriums verstanden werden und untersteht als solche direkt der russischen Regierung. Als global tätiger Konzern gehört Rosatom zu den zentralen Playern im weltweiten Nukleargeschäft. Darüber hinaus trägt der Konzern die Verantwortung für das weltweit grösste Atomwaffenarsenal.
Im Ukraine-Krieg spielt Rosatom unter anderem eine direkte Rolle. So hat Rosatom nachweislich Technologie an das russische Militär geliefert und verantwortet das besetzte Atomkraftwerk Zaporizhija, was sowohl der nuklearen Erpressung als auch der konkreten Sabotage der ukrainischen Energieversorgung dient. Rosatom steht – mit Ausnahme des Unternehmens Atomflot – (noch) nicht auf der Sanktionsliste der Europäischen Union und damit auch nicht auf jener der Schweiz. Die USA hingegen sanktionieren russische Uranimporte seit 12. August 2024.
Schweiz: zu 100 % vom Uranimport abhängig – und beteiligt am Krieg
Atomstrom ist und bleibt über den Uran-Brennstoff zu 100% ein Importgut. Die Betreiberin Axpo bezieht ihren Brennstoff für das AKW Beznau vollständig und für Leibstadt zur Hälfte aus Russland. Die Schweizer AKW benötigen damit im Schnitt pro Jahr knapp 25 Tonnen angereichertes Uran russischen Ursprungs. Das heisst: etwa 45% des Atomstroms und 15% des gesamten Schweizer Stroms stammen aus russischem Uran und damit von Rosatom. Die Axpo, die vollständig im Besitz der Kantone also der öffentlichen Hand ist, bezahlt für den Brennstoff schätzungsweise 50 Mio. Franken pro Jahr.
Wer ja sagt zur Atomenergie, sagt ja zu Pfadabhängigkeiten, die sich oft in langfristigen Knebelverträgen manifestieren. Damit nimmt man billigend in Kauf, sich auf Seiten eines Kriegstreibers wiederzufinden.
Bis zum Atomausstieg: vollständige Transparenz über die Lieferketten
Solange in der Schweiz noch Atomkraftwerke am Netz sind und Rosatom als Handelspartner der Schweizer Atomindustrie akzeptiert ist, legitimiert die Axpo damit die mehr als zweifelhaften Operationen dieses Konzerns. Zudem ist es bei weitem nicht ausreichend, auf direkten Uraneinkauf in Russland zu verzichten. Vielmehr müsste Rosatom vollständig aus der Wertschöpfungskette der Schweizer Atomindustrie ausgeschlossen werden, was angesichts der gigantischen Weltmarktmacht des Konzerns sehr schwierig sein dürfte. Umso dringender ist die Forderung, dass vollständige, öffentliche Transparenz über die Lieferketten inkl. aller Beteiligungen geschaffen wird, bis das letzte Schweizer AKW vom Netz geht und kein Uranimport mehr nötig sein wird.
Stephanie-Christine Eger
Leiterin Fachbereich Atomenergie
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