Klimawandel im Gastgewerbe
Waldbrände im Winter, Hitzetage im Sommer, Trockenheit und zu wenig Heu in der Landwirtschaft – Der Klimawandel ist im Alltag immer mehr zu spüren. Nun auch in der Stammkneipe des Autors. Eine Wehmutsbekundung.
Von Valentin Schmidt*
Entgeistert schaut Stammgast Christen in der Blues Bar, dem Fumoir des Berner Restaurants La Nonna, ins Gesicht von Wirt Atanasio Canadé. Dieser hat soeben eröffnet, dass La Nonna, die Beiz, die seit 30 Jahren authentische italienische Küche und ebenso authentischen Service bietet, in einem Monat geschlossen wird. Der Schock sitzt tief. Zahlreiche Stunden haben der Stammgast und der Autor in den letzten Jahren in der Bar verbracht, sich mit Freunden getroffen und über die Arbeit, Politik und das Wetter diskutiert. Oder über die Frage, ob es für den HC Ambri-Piotta attraktiver ist, in dieser Saison die Playoffs oder die Playouts zu spielen. Immer wieder kam es dabei zu Gesprächen mit dem Nebentisch, an dem mal Swisscom-Angestellte, Student:innen, stadtbekannte Rocker oder auch Nationalrät:innen zu sitzen kamen. Auch ehemalige und zukünftige Bundesrät:innen wurden im La Nonna bewirtet. Und es kursierte manches Gerücht über eine sagenumwobene «Nacht der langen Messer», die sich im Kellergewölbe des Lokals zugetragen haben soll.
Das Berner Restaurant La Nonna und die dazugehörige Blues Bar gingen im Mai 2019 für immer zu. Das Fumoir war eine Oase der Beizenkultur und der Begegnung über den eigenen Tellerrand hinaus. Bild: Valentin Schmidt
Die Blues Bar war ein Ort, an dem verschiedene Meinungen aufeinandertrafen und mit Lust und gegenseitigem Respekt debattiert wurde. Kurz, ein Ort der gelebten Demokratie und der Geselligkeit, an dem Hinz und Kunz, Krethi und Plethi aber auch Weichensteller von nationaler Bedeutung zusammenkamen und der Apérokultur, gutem Essen und nicht zuletzt dem Tabakkonsum huldigten. Doch das ist nun passé.
Fehlende Gartenbeiz
Grund für das Aus: Das La Nonna hat keine Gartenbeiz. Und da die Sommersaison, in der die Klientel lieber im Freien an der Sonne sitzt, immer länger wird, wird auch die umsatzschwache Zeit, in welcher die Wirtefamilie Canadé nach Abzug der Personalkosten und des Wareneinsatzes keinen Gewinn schreiben kann, immer länger. Die Umsatzzahlen belegen es schwarz auf weiss: Betrug die umsatzschwache Sommersaison 1990 nur einen Monat, so waren es im Sommer 2018 deren sechs. Diese Zeitspanne ist in den letzten dreissig Jahren kontinuierlich länger geworden. «Wir machen zu, bevor wir in die Schulden geraten», sagt Atanasio Canadé. «Es ist ein rationaler Entscheid.»
Ist das La Nonna ein Einzelfall? Oder ist der Wettbewerbsnachteil, bei immer längeren Sommerperioden keine Gartenbeiz zu haben, auch für andere Betriebe ein Problem? Im Branchenspiegel 2019 finden sich dazu keine Hinweise, wie eine Sprecherin von Gastro-Suisse auf Nachfrage mitteilt. Der Einfluss des Klimas steht allerdings auch nicht im Fokus der Erhebung.
Gemäss Recherchen der «NZZ am Sonntag» geben jedes Jahr 700 Gastronomen auf. Die Zahl ist in jüngster Zeit stabil geblieben. Neueröffnungen und Schliessungen würden sich seit 2017 die Waage halten. Hingegen verstärke sich der Trend, dass sich junge Gäste auswärts am liebsten im Imbiss verpflegen oder andere Schnellverpflegungsangebote nutzen würden, wird Daniel Borner von GastroSuisse im gleichen Artikel zitiert. Der Trend hin zu Take-away scheint also eine grosse Herausforderung für die traditionelle Gastronomie zu sein. Dies bestätigt auch der Branchenspiegel von GastroSuisse. Der Konsum von gastgewerblichen Leistungen hat 2018 zugenommen, die jährlichen Pro-Kopf-Ausgaben und der Umsatz pro Logiernacht sind jedoch gesunken. Die KundInnen geben weniger Geld fürs auswärts Essen und Trinken aus.
Klimawandel auf der Speisekarte
Der schmerzhafte Verlust der La Nonna und der Blues Bar bleibt ein persönlicher und ist als Trend aufgrund des Klimawandels statistisch (noch) nicht erhärtet. Fest steht allerdings, dass der Klimawandel unsere gastronomischen Gewohnheiten in Zukunft verändern wird, sollten die Klimaziele von Paris nicht erreicht werden.
Jedem Biertrinker sind die Prognosen zur Knappheit von Gerste und Hopfen, welche eine Studie der Universität Peking 2018 publiziert hat, ein Graus. Schreitet die Klimaerhitzung ungebremst voran, werden Wetterextreme wie Hitzewellen und Trockenheit weltweit zunehmen und die Ernteerträge der Hauptingredienzen von Bier schmälern. Dies wird regional zu steigenden Bierpreisen (gemäss Studie z.B. +193 % in Irland) und einem Rückgang des Bierkonsums führen.
Auch unser Speiseplan wird sich radikal verändern, wie die Aktion «All you can’t eat» aufzeigt. Steigende Temperaturen, fehlendes Wasser und der Verlust von Biodiversität werden den Anbau von wichtigen Grundnahrungsmitteln und weiteren Nahrungsmitteln zunehmend erschweren oder gar verunmöglichen. Die Folge sind Ernteausfälle, wie wir sie bereits erleben: Im Sommer 2018 fiel die Zwiebelernte in der Schweiz wegen der hohen Temperaturen sehr tief aus und die Nachfrage konnte nur durch massive Importe gedeckt werden. Verlierer der Klimaerhitzung hierzulande werden die Kartoffel, Weizen, Mais sowie diverse Gemüse und Salate sein – das Thema Fleisch sei hier mal ausgeklammert. Diesen Kohlenhydrat-Trägern setzen die höheren Temperaturen, Wassermangel und Schädlinge zu. Beim Weizen ist zwar eine Zunahme des Ertrags zu erwarten, dafür sinken Protein-, Eisen- und Zinkgehalt, was die Herstellung von Brot und Teigwaren verunmöglicht. Die Entwicklung bringt aber auch Gewinner hervor, zum Beispiel Soja, Süsskartoffeln oder Weinreben.
Das typische Schweizer Gericht der Zukunft, wenn der Klimawandel ohne Gegensteuer voranschreitet? Süsskartoffelrösti mit Tofuwurst, dazu ein Glas überteuerten Bordeaux aus dem Zürcher Weinland, genossen in einem sterilen aber hippen Sommer-Pop-up-Beizli im Industriechic.
Letzte Impressionen aus dem La Nonna in Bern:
* Der Autor
Valentin Schmidt
Mediensoziologe. Leitete von 2015 bis 2022 die Kommunikation der Schweizerischen Energie-Stiftung SES.
Abonnieren
«Energie&Umwelt»
Das Magazin der SES erscheint vier Mal jährlich. Sie können es als Print- oder Online-Ausgabe abonnieren.