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Energie und Umwelt - Das Tschernobylcollier

Graue Emissionen machen die Schweizer Klimabilanz kaputt

Die Schweiz steht im Rahmen der Klimaverhandlungen als Musterschülerin da. Doch der Import energieintensiver Güter führt zu viel höheren Emissionswerten als deklariert. Um den Klimawandel wirklich zu bekämpfen, muss die Schweiz endlich Handelsmassnahmen zur Reduktion grauer Emissionen ergreifen.

Von Moritz Bandhauer*

Um Kosten einzusparen, lagern Schweizer Firmen ihre Arbeit ins Ausland aus, denn dort sind Energie und Arbeitskräfte billiger. Schweizer Schlagrahm wird von Emmi nach Italien transportiert, nur um dort abgefüllt und wieder zurücktransportiert zu werden. Trotz 1500 Kilometern Lastwagenfahrt lohnt sich dies offenbar noch immer. Noch viel verbreiteter ist die Auslagerung energieintensiver Produktionen wie zum Beispiel diejenige von Aluminium. So verkaufte ein Trio um Vorzeigepatriot Christoph Blocher 2001 kurzerhand die Walliser Alusuisse-Lonza nach Kanada ( WOZ, 2011). Geldgier siegte über den Versuch, die heimische Produktion zu stärken. Zu hoch sei der wirtschaftliche Druck gegenüber Billigproduktionen wie in Russland gewesen.

Zahlreiche andere Beispiele sind zwar unbekannter, haben in der Summe aber einen grossen Effekt. Denn solche Standortwechsel ins Ausland ziehen zahlreiche Probleme mit sich: Arbeitsplätze und Know-how gehen verloren. Ausserdem führen verlängerte Transporte zu unnötiger Belastung des Klimas und aufgrund des Verkehrs auch der Bevölkerung. Es ist höchste Zeit, dass die Schweiz im Rahmen der Klimagespräche auch den Importhandel als schwerwiegenden Emittenten ins Visier nimmt. Dazu gehören Abgaben auf Treibhausgasemissionen importierter Güter und Dienstleistungen. 1500 Kilometer Lastwagenfahrt sollten Rahm nicht billiger, sondern gemäss Verursacherprinzip eben teurer machen.

Lastwagen am Gotthard. Bild: stock.adobe.com / Patricia Hofmeester

Zwei Drittel der Emissionen sind grau

Im Rahmen der Klimaverhandlungen gab es 2015 eine Erfolgsmeldung: Das Treibhausgasinventar wurde um 13 % auf 46,3 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente reduziert (siehe Grafik nebenan). Die Schweiz steht im internationalen Vergleich also als Musterschülerin da – zumindest auf dem Papier. Jedoch zählt das Treibhausgasinventar nur die inländischen Emissionen der wichtigsten Treibhausgase CO2, Methan (CH4) und Lachgas (N2O) dazu. Zum einfacheren Vergleich werden diese in CO2-Äquivalente umgerechnet. Um den vollständigen Treibhausgasausstoss der Schweiz zu berechnen, müssten jedoch nicht nur im Inland, sondern auch die im Ausland angefallenen Emissionen mit einbezogen werden (sogenannt «graue» Emissionen).

Darunter fallen die Gewinnung von Rohstoffen und die Produktion von Autos, Elektrogeräten und anderer Importgüter. Die Emissionen von Exportprodukten müssten hingegen vom Ergebnis abgezogen werden. Da die Schweiz jedoch viel mehr und insbesondere energieintensivere Produkte importiert als exportiert, ändert dieser Umstand nichts am Gesamtbild: Laut der neuesten Studie des Bundesamts für Statistik machten 2015 die grauen Emissionen 65 % (!) des gesamten Fussabdrucks aus (76,1 Mio. Tonnen von gesamt 116,2 Mio. Tonnen CO2-Äquivalent, siehe Grafik). Im Jahr 2008 waren es 60 % graue Treibhausgasemissionen.

Treibhausgasinventar, das im Rahmen der Umsetzung des Kyoto-Protokolls erstellt wird (links) im Vergleich mit dem Treibhausgas-Fussabdruck der Jahre 2012 – 2015 (rechts). Das Treibhausgasinventar entspricht den Emissionen, die auf dem Schweizer Staatsterritorium anfallen. Der Fussabdruck entspricht den Treibhausgasemissionen aufgrund der Schweizer Endnachfrage und berücksichtigt die Importe. Quellen: BFS – Umweltgesamtrechnung; BAFU – Treibhausgasinventar

Sinkende inländische Emissionen stehen somit den wachsenden grauen Emissionen diametral entgegen. Vermeintliche Einsparungen der Schweiz werden de facto im Ausland mehr als zunichte gemacht. Die Klimaerwärmung kümmert es jedoch nicht, ob die Treibhausgase in China oder in der Schweiz emittiert werden. Es kümmert das Klima nur, wie viel Treibhausgase weltweit emittiert werden. Wenn die Schweiz ihren Teil zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen will, muss sie folglich auch ihre grauen Emissionen reduzieren.

Faire Grenzabgaben

Mithilfe einer Grenzabgabe auf energieintensive Importgüter können graue Emissionen transparent gemacht und eingeschränkt werden. Denn in den meisten Statistiken und internationalen Vergleichen zählt nur der Anfang der Wertschöpfungskette zum Treibhausgasinventar. Doch am Anfang dieser Kette ist der Verbrauch fossiler Energieträger oft besonders intensiv. Der Konsum der Güter findet in den meisten Fällen in anderen Ländern statt, wie zum Beispiel in der Schweiz. Importeure profitieren deshalb unverhältnismässig.

Die Schweiz könnte mit einer Grenzabgabe zur Pionierin einer umweltfreundlichen Wirtschaft werden und damit Druck auf ihre Handelspartner ausüben. Ökologisch orientierte Schweizer Unternehmen könnten vom Wettbewerbsvorteil in einer in Richtung Klimaneutralität gehenden Welt profitieren. Mithilfe einer Energiesteuer auf Importprodukte liessen sich gerade energieintensive Güter wie Aluminium auch wieder wettbewerbstauglich in der Schweiz herstellen. Damit eine solche Grenzabgabe nicht zum sogenannten «Carbon Leakage» führt, also emissionsintensive Unternehmen nicht einfach auf Länder ohne Energiesteuern ausweichen, müssen natürlich handelspolitische Massnahmen ergriffen werden.

Transparenz ist notwendig

Solange der Handel emissionsintensiver Produkte und Dienstleistungen steuer- und deklarationsfrei vonstatten geht, steht die Schweiz auf dem Papier als umweltfreundlich und vorbildlich im Kampf gegen den Klimawandel da, obwohl die Emissionen gesamthaft weiter ansteigen. Mehr Transparenz bei den grauen Emissionen ist nicht nur wünschenswert, sondern absolut notwendig. Um die Ziele von Paris nicht mit halbwahren Emissionsrechnungen abzuhaken, muss der «blinde Fleck» grauer Emissionen aufgedeckt werden. Anstatt die Produktion solcher Güter zusehends ins Ausland zu verlagern, müssen die grauen Emissionen in Zukunft deklariert und mit einer Emissionssteuer belegt werden. Solche Massnahmen haben durchaus wirtschaftliche Vorteile für die Schweiz: Denn hätte es schon früher ökologische Grenzabgaben gegeben, gäbe es vielleicht heute noch die Alusuisse und «Schweizer» Schlagrahm würde tatsächlich auch in der Schweiz abgefüllt.

*Der Autor

Reto Knutti

Moritz Bandhauer

Klimawissenschaftler, ehemaliger SES-Praktikant, Projektleiter Klimaschutzprojekte myclimate

www.myclimate.org

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