Warum neue Reaktortypen leere Versprechen sind
Dieter Kuhn,
Einige Stimmen möchten auf ganz neue Reaktorkonzepte setzen. Andere möchten die alten Reaktorkonzepte kleiner denken und modular konstruieren, um die Baukosten zu senken. Was ist von diesen Versprechen zu halten?
Neue Reaktorkonzepte
Man verlangt lautstark eine «vorurteilslose Beurteilung» der Frage, ob eine «neue Generation» von AKW uns die Probleme des Klimawandels nicht vom Hals schaffen könne. Anscheinend haben diese «neuen» AKW alle Nachteile der «alten» AKW nicht mehr und dafür den angeblichen Vorzug, sicher und zuverlässig CO2-freien Bandstrom zu liefern. Wo also sind diese «unproblematischen» AKW, wegen denen man ein bereits erlassenes «Technologieverbot» zurücknehmen soll?
Ich habe mir sechs der meistgenannten Konzepte genauer angesehen. Sie unterscheiden sich von heutigen Modellen etwa durch die Wahl des Kühlmittels, die Geschwindigkeit der zur Kernspaltung genutzten Neutronen, die Dampftemperatur oder andere Aspekte, die alle jeweils Vor- und Nachteile mit sich bringen. Ungeachtet des Konzepts lässt sich sagen, dass es den «problemlosen Reaktor» schlicht nicht gibt.
Noch entscheidender scheint mir die Tatsache, dass der Entwicklungsstand aller sechs Reaktorkonzepte sehr weit von einer Nutzung für die Stromproduktion im industriellen Massstab entfernt ist. Die Konzepte konkurrenzieren sich teilweise, benötigen Forschungs- und Entwicklungsaufwand, usw.
Small-Modular-Reactors (SMR)
Kleine modulare Reaktoren tauchen immer wieder als angebliche Lösung unserer Klimaprobleme auf: Die Firma Westinghouse stützt sich auf eine bereits jetzt weit verbreitete Technologie, während eine Stiftung von Bill Gates einen Bautyp mit flüssigem Natrium anstrebt. Aber auch hier führt ein genauer Blick auf Entwicklungsstand und Perspektive für SMR schnell zu Ernüchterung.
SMR sind nicht das Ei des Columbus, im Gegenteil. Je stärker sich ein neues Konzept von bisherigen Anlagen unterscheidet, desto länger dürfte es dauern, bis ein SMR Baureife erreicht. Selbst beim russischen Reaktorschiff «Akademik Lomossonow» dauerte es vom Baubeginn 2007 bis zur Inbetriebnahme 2020 etwa 13 Jahre. Und dies, obwohl der Reaktortyp als Antrieb von Eisbrechern und einem Frachtschiff hinlänglich bekannt und erprobt war…
Bildlich gesprochen: Wenn die heute üblichen Reaktorkonzepte die Spatzen in der Hand sind, dann sind die neuartigen Konzepte oder die Pläne für kosteneffiziente SMR allenfalls Tauben auf einem sehr, sehr weit entfernten Dach.
Dieter Kuhn
Experimentalphysiker UZH und SES-Stiftungsrat