Neue AKW-Studie unterschlägt Zielwerte der Energiestrategie
Fabian Lüscher,
Die grundlegende Fehlannahme der Auftragsstudie basiert auf einem Referenzszenario, das 10 Terrawatt-Stunden (TWh) weniger Erneuerbare Energien aufweist, als das Bundesgesetz für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien (Mantelerlass) vorschreibt. Dieses wird diese Tage vom Parlament verabschiedet und schreibt für das Jahr 2035 einen verbindlichen Zielwert von 35 TWh vor. Die Studie unterschlägt somit rund einen Drittel des künftigen Ausbaus von Erneuerbaren. Für diese fiktive Lücke postuliert Economiesuisse die Atomkraft als Lösung und lässt die Autoren den Beitrag und die Kosten für den Langzeitbetrieb der Schweizer AKW durchrechnen. Ein Szenario mit dem tatsächlich vorgesehenen Ausbau an Erneuerbaren fehlt ohne Begründung. Die von Economiesuisse ausgewählten Szenarien widersprechen damit dem aktuellen Stand der energiepolitischen Debatte und nehmen das Studienergebnis bereits vorweg.
Atompolitische Binsenwahrheiten
Aus der Studie lassen sich vor diesem Hintergrund zwei Haupterkenntnisse ableiten, die für Energiefachleute keinen Neuigkeitswert haben.
- Mehr Strom = Mehr Strom
Wenn mehr Stromerzeugungskapazitäten zur Verfügung stehen, macht das die Stromversorgung sicherer und senkt den Importbedarf. Da weiterlaufende AKW und der Ausbau der Erneuerbaren die Erzeugungskapazität erhöhen, ist die Stromproduktion grösser, als wenn die AKW abgestellt werden. - Neubau ist teurer als Langzeitbetrieb
Der Erhalt bestehender Stromerzeugungskapazitäten ist meist günstiger als der Zubau von neuen Anlagen, deren Anfangsinvestitionen noch nicht abgeschrieben sind. AKW weiterlaufen zu lassen ist deshalb eine relativ günstige Massnahme, um Strom zu produzieren.
Economiesuisse verschweigt und verdreht Studienerkenntnisse
In der Zusammenfassung von Economiesuisse werden wichtige Erkenntnisse der Studie unterschlagen, unvollständig wiedergegeben oder gar ins Gegenteil verkehrt:
- Ein neues AKW lohnt sich nicht
Im Szenario mit AKW-Neubau liegen die Stromversorgungskosten höher als in allen anderen Szenarien – es sei denn, man stützt sich auf chinesische Baukosten. Die Interpretation dieser Studienergebnisse durch Economiesuisse sind falsch, was die Autoren bestätigen. - AKW-Lastfolgebetrieb führt zu massiv höheren Kosten
Je schneller der Zubau von erneuerbarer Energien erfolgt, desto eher können AKW nicht mehr rentabel betrieben werden. Selbst bei sehr tiefen Strompreisen kostet der Produktionsausfall eines AKW eine Million CHF pro Tag, bei höheren Strompreisen ein Vielfaches davon. - Kein akuter Handlungsbedarf
Die AKW-Betreiber rechnen bereits heute mit einem Betrieb von 60 Jahren. Die allermeisten Investitionen für einen 60-jährigen Betrieb wurden bereits getätigt. Aus der Studie zusätzlichen aktuellen Finanzierungsbedarf seitens der öffentlichen Hand abzuleiten, wäre falsch. - Der Ausbau der Erneuerbaren muss beschleunigt werden
Auch wenn dieser Punkt in der bisherigen Berichterstattung völlig unterging: Eine Haupterkenntnis der Studie ist, dass es die Massnahmen des Manterlasses dringend braucht, um die erneuerbaren Energien rasch auszubauen.
Langzeitbetrieb ist Blindflug
Economiesuisse suggeriert, dass die Schweizer Stromversorgung ohne AKW-Langzeitbetrieb (und Neubau) nicht funktioniere. Diese Aussage missachtet aber - genau wie die Studie - die zahlreichen Unbekannten im Langzeitbetrieb. Es gibt weltweit keine Erfahrung mit AKW, die 60 bis 80 Jahre betrieben wurden. Auf Basis der Studie ist nicht fundiert abzuschätzen, was bei einem Betrieb weit über 60 Jahre hinaus auf die Betreiber, die Stromkonsumenten oder Steuerzahler zukäme. Der Langzeitbetrieb ist ein Blindflug, nicht nur finanziell.
Unsere detaillierte Analyse mit Verlinkung auf die Quellen und entsprechende Passagen im «extended summary» sind im folgenden Dokument zusammengestellt.
Nils Epprecht
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