AKW-Langzeitbetrieb ohne Umweltschutzprüfung und Mitsprache?
Domink Waser,
Völkerrechtswidriges Verhalten der Schweiz
Die Schweiz hat sich unter den Aarhus- und ESPOO-Konventionen dazu verpflichtet, nachteilige und grenzüberschreitenden Umweltauswirkungen zu überwachen und zu verhindern. Dieses Jahr wird das Kernkraftwerk Leibstadt in den Langzeitbetrieb (40+ Jahre) übergehen. Die Schweiz betreibt damit den ältesten AKW-Park der Welt. Dieser stellt ein unvermeidliches Restrisiko für katastrophale Unfälle mit riesigem Schadenspotenzial dar. 15 Anwohner: innen aus Deutschland und der Schweiz fordern darum jetzt ein, wozu sich die Schweiz verpflichtet hat: eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), und damit die Konsultation der betroffenen Bevölkerung.
Die Ausrede des Bundes
Während Vertragsparteien wie Belgien etwa mit grossem Aufwand die Umweltfolgen ihres Atomparks prüften, stellt sich der Bundesrat in einer Stellungnahme vom 26.05.2021 auf den Standpunkt, dass diese Anforderungen für Schweizer AKW nicht gelten. Da es für Schweizer AKW keine Laufzeitbeschränkungen gebe, könne von einer Laufzeitverlängerung keine Rede sein. Das entspricht aber ganz klar nicht dem Sinn der Konventionen, die auch bei einer de facto Verlängerung nach 40 Jahren eine UVP verlangen.
Anwohnerinnern und Anwohner bestehen auf ihr Mitspracherecht
Das UVEK muss das Gesuch nun prüfen. Die Anwohnerinnen und Anwohner zweifeln am Willen des UVEK: «Die Schweiz hat sich ja eigentlich zu dieser Sache verpflichtet. Dass man bis jetzt einfach stillgesessen ist und es uns Anwohnerinnen und Anwohnern überlässt, unsere Rechte einzufordern ist nicht gerade ermutigend.», sagt stellvertretend eine der Anwohnerinnen. Unterstützung erhalten die Anwohnerinnen und Anwohner von der Schweizerischen Energie-Stiftung SES, dem Trinationalen Atomschutzverband TRAS und Greenpeace Schweiz. Stephanie Eger, Fachbereichsverantwortliche Atom der SES erklärt: «Das UVEK versucht hier eine de facto Laufzeitverlängerung am Gesetz vorbeizuschmuggeln und bringt so die Anwohnerinnen und Anwohner aus Deutschland und der Schweiz um ihre Mitspracherechte. Ein solches Aushebeln von demokratische Rechten ist sehr unschweizerisch, weshalb wir uns entschieden haben, die Anwohnerinnen und Anwohner zu unterstützen.»
Das UNO Komitee zur Anwendung der ESPOO-Konvention hat vor Kurzem ein ähnliches Verfahren gegen Frankreich eröffnet, da es die Verlängerung seines Atomparks auch nicht geprüft hat.
Stephanie-Christine Eger
Leiterin Fachbereich Atomenergie
+41 44 275 21 20
stephanie.eger@energiestiftung.ch
Infos zur Espoo- und Aarhus-Konvention:
Übereinkommen über die Umweltverträglichkeitsprüfung im grenzüberschreitenden Rahmen («Espoo-Konvention»): Am 10. September 1997 ist das Abkommen für die Schweiz in Kraft getreten. Es verpflichtet Mitgliedstaaten Massnahmen zur Verhütung, Reduzierung und Bewältigung von erheblichen, grenzüberschreitenden nachteiligen Auswirkungen eines Vorhabens zu ergreifen. Zu diesen Vorhaben gehört auch der de facto Übergang in den Langzeitbetrieb. In so einem Fall muss eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden und haben (potentielle) betroffene Parteien ein Mitspracherecht.
Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten («Aarhus- Konvention»): Die Aarhus-Konvention, die für die Schweiz am 1. Juni 2014 in Kraft getreten ist, beruht auf den drei Pfeilern «Umweltinformation», «Öffentlichkeitsbeteiligung bei umweltrelevanten Entscheidungsverfahren» und «Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten». Im Falle bestimmter Tätigkeiten, wozu auch der Langzeitbetrieb von Kernkraftwerken gehört, muss zuerst eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden. Zusätzlich müssen Anwohnende aktiv informiert werden und haben sie ein Mitspracherecht.
Die Schweiz ist völkerrechtlich zur Einhaltung der entsprechenden Abkommen verpflichtet, worauf sich die betroffenen Gesuchstellenden jetzt berufen.