Was darf der Staat?

Philipp Lepenies,

Die Klimakatastrophe ist da. Die Erkenntnis, dass unser industrialisierter und entwickelter Lebensstil nicht zukunftsfähig ist, ist seit Jahrzehnten bekannt. Es ist davon auszugehen, dass aufgeklärte Bürger:innen schon lange darüber informiert sind, dass tiefgreifende Veränderungen angebracht sind. Trotzdem kann man nicht erkennen, dass die Menschen ihr Verhalten grundlegend angepasst hätten. Die Transformation bleibt aus.

Ebensowenig scheint «der Markt» in der Lage zu sein, Anreizmechanismen zu entwickeln, um den Transformationsprozess hin zu einer dekarbonisierten Wirtschaftsweise und zu weniger Umweltzerstörung zu befördern.

Wenn jedoch weder die Bürgerinnen und Bürger, noch «der Markt» zur Transformation beitragen, bliebt als treibende Kraft, zumindest auf nationalstaatlicher Ebene, der Staat übrig. Nimmt man die Dringlichkeit der Transformation ernst, wird das unweigerlich darauf hinauslaufen, dass der Staat in das Konsumverhalten der Bürgerinnen und Bürger eingreift, bestimmte konsumtive Praktiken verbietet oder Regularien ersinnt, die dazu führen, dass man auf den Konsum bestimmter Güter verzichtet.

In Deutschland haben Vorschläge eines solchen Eingreifens in private Konsumentscheidungen in den letzten 10 Jahren zu empörten Abwehrreaktionen geführt. Die rhetorische Keule, die dabei mit Vehemenz geschwungen wird, ist die einer drohenden «Ökodiktatur» oder einer «Verbots- und Verzichtspolitik», die man selbstverständlich radikal ablehnt. Ein gewichtiges Argument ist dabei die erboste Feststellung, dass ein Eingriff in die individuelle Konsumentscheidung ein Angriff auf die persönliche Freiheit darstellt.

Im Suhrkamp Verlag von Philipp Lepenies zuletzt erschienen: Verbot und Verzicht. Politik aus dem Geiste des Unterlassens.
ISBN 978-3-518-12787-2

Eine Politik im Geiste des Unterlassens

Allerdings sind es nicht nur die Konsumenten und Konsumentinnen, sie sich ihre Freiheit nicht nehmen lassen wollen, sondern genügend Politikerinnen und Politiker lassen ihre potentiellen und tatsächlichen Wähler wissen, dass es mit ihnen eine Verbots- und Verzichtspolitik nicht geben wird. Diese Haltung führt zu dem Phänomen einer «Politik im Geiste des Unterlassens»: eine Vorstellung, die in einer inaktiven Politik, einer Politik, die das private Konsumverhalten nicht regulieren will, eine gute, eine tugendhafte Politik sieht. Allerdings steht eine Politik im Geiste des Unterlassens einer Transformationspolitik im Wege. Selbstverständlich besteht Transformation nicht allein im Unterbinden individuellen Konsumverhaltens. Aber zu glauben, dass eine Transformationspolitik neben vielen anderen Politikinstrumenten nicht auch (!) Verbote und Verzichtsregularien des privaten Konsums beinhalten muss, ist illusorisch. Vielmehr muss akzeptiert werden, dass der Staat in einer Demokratie die Aufgabe hat, das Verhalten seiner Bürgerinnen und Bürger im Sinne des Allgemeinwohls (das auch zukünftige Generationen einschließen muss) zu lenken und zu regulieren. Anscheinend stehen wir nicht nur vor der Aufgabe der Transformation von Produktion und Konsum, sondern auch vor der Notwendigkeit, zunächst Glaubensgrundsätze vieler Menschen aufzugeben: die Idee, dass Freiheit bedeutet, hemmungs- und verantwortungslos zu konsumieren sowie die irrwitzige Vorstellung, dass von demokratischen Regierungen ersonnene Einschränkungen des Konsums vor dem Hintergrund des Klimawandels direkt in eine Ökodiktatur führten. Die Veränderung dieser ideologischen Prägungen ist eine Herkulesaufgabe. Hoffen wir, dass es keine Sisyphusarbeit ist.

Philipp Lepenies

Philipp Lepenies

Ökonom und Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin

www.polsoz.fu-berlin.de



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