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Energie und Umwelt - Die Verkehrswende beginnt im Kopf

Keine Energiewende ohne Verkehrswende

Der Verkehr heute ist energieintensiv, dreckig, laut und breit. Aus Sicht des Gesamtenergieverbrauchs und der Energiewende ist die Verkehrswende zentral. Diese besteht aus einer Antriebs- als auch einer Mobilitatswende. Damit wir mobil bleiben, braucht es weniger Verkehr bei tieferem Energieverbrauch.

Von Florian Brunner*

Bei der Energiestrategie 2050 liegt der Fokus auf dem Strom. Die Dekarbonisierung des Verkehrs spielt eine untergeordnete Rolle. Fällt der Begriff Energiewende, wird das ebenfalls vielfach mit einer Stromwende gleichgesetzt, also der Abkehr von der konventionellen Stromerzeugung. Doch aus Gesamtenergiesicht macht dieser Teil lediglich einen Viertel aus. Ein Löwenanteil des Energieverbrauch fällt im Mobilitätsbereich an.

Der Verkehr frisst Energie, Raum und Zeit

Der Verkehr ist der grösste Energieverbraucher der Schweiz. 36 % der Endenergie wurde 2017 im Verkehrssektor verbraucht. 94 % dieses Energiebedarfs wird mit Erdöprodukten gedeckt (Benzin, Diesel und Flugtreibstoffe; Vgl. BFE; Schweizerische Gesamtenergiestatistik 2017). So macht der Verkehr heute satte 32% an den Schweizer Treibhausgasemissionen aus (Vgl. BAFU, Treibhausgasinventar 2018).

Die Herausforderungen im Verkehrsbereich beschränken sich aber nicht «nur» auf die Klimaveränderung. Um unsere heutige Mobilität gewährleisten zu können, sind wir auf zu viel Verkehrsleistung angewiesen. Damit verbunden ist auch ein zu hoher Raumbedarf und Ressourcenverbrauch von Energie und Material. Der Autoverkehr beansprucht enorm viel Fläche und verursacht mit seinem Lärm und seinen Abgasen unnötige Belastungen, Krankheiten und letztendlich höhere Gesundheitskosten für die Gesellschaft. Wir können es uns zwar leisten, immer grössere Distanzen in derselben Zeit zurückzulegen wie früher. Das ist vermeintlich bequem. Doch unter dem Strich nimmt der Mobilitätsaufwand zu, was unsere Lebensqualität schmälert. Dieser Aufwand zehrt an einer weiteren Ressource, die sehr knapp ist: unsere Zeit.

Der Druck auf Energie, Ressourcen, Umwelt, Landschaft und Gesundheit wird zusätzlich verschärft, zieht man die Prognosen in Betracht. So soll die Personenverkehrsleistung bis 2040 nochmals um einen Viertel zunehmen, diejenige des Güterverkehrs gar um einen guten Drittel (Vgl. ARE, Verkehrsperspektiven 2050).

Bild: unsplash.com / Joakim Aglo

Energiewende nur mit Verkehrswende

Die Energiewende stellt den übergang von der Nutzung fossiler Energieträger sowie der Atomenergie zu einer nachhaltigen Energieversorgung mittels erneuerbarer Energien dar. Will man die Energiewende ernsthaft angehen, braucht es im Verkehrssektor griffige Massnahmen. Nur mit einer Verkehrswende lässt sich die Energiewende vollenden.

Die Verkehrswende wiederum wird angetrieben sowohl von einer reinen Antriebswende als auch von einer Mobilitätswende. Die Antriebswende sorgt dafür, dass die reduzierte Verkehrsleistung mit erneuerbarer, fossil- und schadstofffreier Energie erfolgt. Das ist eine technische Herausforderung, die politischer Gestaltung bedarf. Innovationen wie Elektroautos bieten hierfür mögliche Technologien: Durch sie können die Treibhausgasemissionen und der Energieverbrauch des Verkehrs deutlich gesenkt werden. Voraussetzung ist, dass die Energie aus erneuerbaren Quellen stammt und sparsam eingesetzt wird.

Energieverbrauch senken, Lebensqualität erhöhen

Erneuerbare und klimaneutrale Energien sind mittelfristig allerdings nicht im überfluss vorhanden. Die Verkehrswende ist demzufolge weit mehr als eine Antriebswende, die «lediglich» den Austausch der Fahrzeugantriebe zum Ziel hat. Im Kern geht es darum, den Energieverbrauch des Verkehrs zu senken, ohne dabei die Mobilität einzuschränken.

Bei der Mobilitätswende erweitert sich – gestützt auf technologische Entwicklungen und Innovationen – das Verkehrsangebot und multimodales Verkehrsverhalten wird erleichtert. Befördert durch gesellschaftliche Trends wird es möglich, bislang nicht gehobene Potenziale a) der Vermeidung, b) der Verlagerung und c) der Verbesserung des Verkehrs zu erschliessen.

  • Vermeiden bedeutet weniger Verkehrsleistung, sprich unnötige Fahrten und Transporte müssen vermieden werden. Strassenkapazitäten dürfen nicht erweitert werden, Pendlerdistanzen von einer Stunde und mehr sind nicht nachhaltig.
  • Vom Auto muss auf umweltschonende Verkehrsmittel verlagert werden wie Fussverkehr und Velos sowie den öV und die Bahn.
  • Besseren und effizienteren Verkehr erreichen wir mit sparsameren, ressourcenschonenden, geteilten und erneuerbar betriebenen Fahrzeugen. Durch vermehrtes Carsharing verändert sich das Mobilitätsverhalten, die Umweltbilanz wird besser.

Weitere verkehrspolitische Massnahmen wie Tempolimiten (der Energieverbrauch eines Autos verringert sich durch tiefere Geschwindigkeiten), autofreie Zonen und Mobility Pricing können neben reduzierten Emissionen zudem viel Lebensqualität schaffen. Weniger Autos bedeuten letztlich weniger Lärm und weniger Schadstoffe.

Dank der Verkehrswende mobil bleiben

Bewegungsfreiheit ist ein Menschenrecht, Mobilität muss für alle sichergestellt werden. Doch die heutige Mobilität braucht in der Schweiz zu viel fossile Energie. Von dieser müssen wir bis 2040 wegkommen (laut Klimavertrag von Paris). Der Wandel hin zu einer effizienten und sauberen Mobilität ist unumgänglich.

Bisher wurde mobile Freiheit mit Automobilität gleichgesetzt. Doch immer weniger junge Menschen erwerben einen Führerschein und besitzen ein Auto. Im digitalen Zeitalter bedeutet Freiheit der Mobilität, dass man aus einer Vielzahl von Möglichkeiten flexibel und selbstständig ein Mobilitätsangebot wählen kann, indem man jeweils die umweltfreundlichsten, angenehmsten und passenden Verkehrsmittel miteinander kombiniert. Die individuelle Mobilität entkoppelt sich letzten Endes vom Fahrzeugbesitz.

Die Politik muss diesen Wandel der Gesellschaft aufnehmen und Antworten liefern, um all diese Verkehrsträger und ihre Vernetzung zu stärken. In Zukunft müssen Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Freizeitaktivitäten wieder nahe beieinander liegen. Dadurch verringert sich der «Zeit-Aufwand» für Mobilität. In einer solchen Umgebung sind Fussgängerinnen und Velofahrer erwünscht und beanspruchen weniger Platz und Energie. Und nur in einer solchen Umgebung bleiben wir frei und mobil, statt im Stau zu ersticken.

Die Verkehrswende wird Umstellungen und Verhaltensänderungen erfordern. Um die Mobilität unserer Gesellschaft und unsere Umwelt zu schützen, ist sie allerdings unverzichtbar. Jetzt gilt es für die Verkehrs- und Energiepolitik, die Weichen richtig zu stellen. Und wir Nutzende müssen unser Mobilitätsverhalten beständig in Frage stellen und optimieren.

*Der Autor

Florian Brunner

Florian Brunner

Der Geograf Florian Brunner leitete von 2014 bis 2021 den Fachbereich Fossile Energien & Klima bei der SES.

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