Energiewende dank Bürger:innen-Beteiligung
Bürgerenergieprojekte – wie jenes der IG Solar Wehntal im Zürcher Unterland – treiben die Energiewende konkret voran. Die SES hat in Nachbarländern erfolgreiche Politikinstrumente identifiziert, welche die Beteiligungsmöglichkeiten von Bürger:innen in der Schweiz stärken können. Drei Vorschläge.
Von Valentin Schmidt*
Aus dem Bedürfnis heraus, etwas zu bewegen, entstand 2013 in Niederweningen die Interessengemeinschaft IG Solar Wehntal. Initiant Oliver Franz ging damals auf den Gemeinderat zu und platzierte die Idee, die Gemeinde solle den Solarausbau aktiv unterstützen. «Ich stiess auf offene Ohren und wir haben es dann geschafft, an der Gemeindeversammlung den Bau einer grossen PV-Anlage auf der Badi durchzubringen», erzählt der IT-Unternehmer. Seither bündelt die IG Solar ein Netzwerk von Spezialisten – vom Elektroingenieur über den Juristen bis hin zur Gemeinderätin – und motiviert und berät Gemeindebehörden, Firmen sowie Private mit dem Ziel, einen Beitrag an die Energiewende zu leisten. 2019 hat die Gemeinde einer finanziellen Förderung von PV-Anlagen zugestimmt, was dem Projekt, im Wehntal 100 Solaranlagen zu realisieren, viel Schub gab. Das Beispiel Wehntal illustriert, wie Eigeninitiative einen konkreten Beitrag zur dringend nötigen Energiewende leisten kann.
Investitionssicherheit schaffen
Die IG Solar Wehntal verfolgt die Strategie, den Bau von Solaranlagen wirtschaftlich attraktiver zu gestalten. Dies haben sie in Niederweningen geschafft, indem die Gemeinde zusätzlich zu den Förderbeiträgen des Bundes (Einmalvergütung) einen Fördertopf mit 100'000 Franken bereitstellt, aus dem Anlagenbauer:innen Beiträge abholen können. «Unsere Erfahrung ist, dass die Leute in erster Linie über finanzielle Anreize funktionieren », erklärt Oliver Franz. Mit dem zusätzlichen kommunalen Fördertopf sinken die Investitionskosten, sodass der Bau einer PV-Anlage äusserst interessant wird. Hinzu kommen auch noch steuerliche Abzüge für ökologische Investitionen am eigenen Haus.
Dank der Schulgemeinde Wehntal und mit Unterstützung der IG Solar Wehntal wurde auf der neu erstellten Sporthalle Niederweningen eine 140 kWp-Solaranlage realisiert, die an einem sonnigen Tag 1000 kWh produziert. Bild: IG Solar Wehntal
Doch offensichtlich versickert das Wissen zu den Fördervorgaben des Bundes auf dem Weg über die Kantone bis zu den Gemeinden noch zu stark und ist bei der breiten Bevölkerung noch nicht angekommen. «Ein wichtiger Teil unserer Arbeit ist Aufklärung. Die Leute haben wenig Ahnung. Einerseits, was die Fördermöglichkeiten anbelangt, andererseits stehen viele Vorurteile im Raum – von vermeintlichen seltenen Erden in den Solarmodulen bis hin zu Ängsten vor Elektrosmog. Und auch in den Gemeinden hängen die Erfolgsaussichten oft davon ab, welche Einstellung der oder die Gemeindeschreiber: in in Bezug auf die Energiewende hat.» Um Abhilfe zu schaffen, sucht die IG Solar Wehntal den Austausch mit weiteren Gemeinden, organisiert Infoveranstaltungen und verteilt Infoflyer. Mit Erfolg: Bislang wurden 60 der angestrebten Photovoltaik-Anlagen im Wehntal realisiert. Oliver Franz sagt aber auch, dass die Nachhaltigkeit der Interessengemeinschaft an einem dünnen Faden hängt: «Wir leisten diese Arbeit ehrenamtlich. Das Risiko ist gross, dass uns die Puste ausgeht, falls es zu Personalwechseln käme.»
Die EU hat das Erfolgspotenzial solcher Bürgerbeteiligungsmodelle erkannt und fördert diese heute entsprechend. Die SES liess in einer Studie von Dr. Benjamin Schmid untersuchen, welche Erfahrungen aus der Förderpolitik fünf europäischer (Teil-)Staaten gezogen werden können, um deren Potenzial für die Energiewende in der Schweiz besser zu nutzen. «Die Vorteile liegen auf der Hand», erklärt Studienautor Benjamin Schmid: «Beteiligungsmöglichkeiten können die Akzeptanz der Energiewende insgesamt erhöhen, zusätzliches Kapital zur Finanzierung von neuen Anlagen generieren und die demokratische Mitbestimmung in der Energieversorgung verbessern. Dadurch sollten sich mehr erneuerbare Energieanlagen realisieren lassen.»
Einheitlicher Einspeisetarif für bessere Dachnutzung
Die Tarife für Solarstrom, den die Besitzer ins lokale Netz einspeisen, ist von Energieversorger zu Energieversorger unterschiedlich und kann jederzeit ändern. Dort, wo er zu tief ist, werden Solaranlagen so dimensioniert, dass der Eigenverbrauchsanteil möglichst hoch ist. Oft bleibt so ein Teil des Photovoltaikpotenzials ungenutzt. Oliver Franz ist diese Entwicklung ein Dorn im Auge: «Wir alle wissen, dass der Strombedarf in Zukunft steigt. Mein Prinzip: Wenn man schon baut, soll man alles abdecken, nicht nur Südlagen. Es geht schliesslich um die Energiewende.» Um diesem Umstand auf politischer Ebene zu begegnen, schlägt die SES angelehnt an die Erfahrungen in Europa einen schweizweit einheitlichen, angemessen hohen und langfristig garantierten Einspeisetarif für Strom aus kleinen und mittelgrossen Photovoltaikanlagen ( < 500 Kilowatt) vor. Dadurch werden die Dachflächen genutzt und der Ausbau gefördert.
Die Interessengemeinschaft «IG Solar Wehntal» mit Initiant Oliver Franz (Dritter von links). www.solarwehntal.ch
ZEV-Modell ausweiten
Einen weiteren Anreiz, um die verfügbaren Flächen vollständig zu nutzen und die brachliegenden Potenziale optimal auszuschöpfen, sieht die SES in der Ausweitung des Modells der «Zusammenschlüsse für den Eigenverbrauch» (ZEV), sodass der Eigenverbrauch des selber produzierten Solarstroms im gesamten lokalen Verteilnetz möglich ist. Oliver Franz bestätigt, dass das sinnvoll ist: «Wir haben die Idee geprüft, in unserem Quartier 14 Häuser zusammenzuschliessen. Unsere Energieversorgerin verlangte dann, dass wir zwischen den Objekten neue, eigene Stromleitungen bauen. Die bestehenden Leitungen dürften nicht verwendet werden und würden dann plombiert. Wir hätten also selber die Strasse aufreissen und neue Leitungen verlegen müssen, wodurch das Projekt zu teuer geworden wäre», ärgert er sich.
Akzeptanz durch Beteiligung stärken
Die SES ortet weiteren Handlungsbedarf bei der Akzeptanz der Energiewende. Ein Paradebeispiel ist die Windenergie. Mitte-Nationalrätin Priska Wismer-Felder kann ein Lied davon singen: «Ich kenne die Bedeutung von Beteiligungsmöglichkeiten für Bürger:innen aus eigener Erfahrung mit dem Windkraftprojekt auf unserem Hof in Rickenbach», so Priska Wismer. «Ideen, welche die Akzeptanz für erneuerbare Energien fördern, sind gesucht. Die Energiewende gelingt nur gemeinsam mit der Bevölkerung.» Der Vorschlag, den die SES aus der Europäischen Analyse ableitet: Ähnlich wie in Dänemark sollte die Pflicht eingeführt werden, dass ein bestimmter Anteil des Eigentums neuer erneuerbare Energie-Anlagen – beispielsweise 20 %– für Investitionen von Anwohner:innen und Standortgemeinden geöffnet werden. Damit kann die Bevölkerung besser eingebunden werden, was die Akzeptanz erhöht.
Aktuell behandeln die Energiekommissionen die Revision des Energiegesetzes im Rahmen des «Bundesgesetzes über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien.» Nächstes Jahr beugt sich das Parlament über die Vorlage. Die SES wird ihre Vorschläge hier einbringen, damit Bürger:innen-Beiteiligungen gestärkt und die Energiewende vorankommt.
*Der Autor
Valentin Schmidt
Mediensoziologe. Leitete von 2015 bis 2022 die Kommunikation der Schweizerischen Energie-Stiftung SES.
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