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Böses Erwachen - Ein Wort zum Umweltrecht

Martin Pestalozzi,

Die seit Jahrzehnten bekannte Notwendigkeit einer umweltgerechten Energiepolitik reichte nicht für vorausschauendes ganzheitliches Handeln. Erst die aktuelle Versorgungskrise sorgt für Hektik im Politbetrieb. Nun wird das Kind gleich mit dem Bad ausgeschüttet.

Schon 1984 brachte die SES zusammen mit anderen Umweltverbänden eine Energieinitiative auf Bundesebene zur Abstimmung. Diese forderte unter anderem eine Energiepolitik zur Förderung der Lebensqualität bei möglichst geringem Energieeinsatz und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen für die kommenden Generationen, die Gewährleistung der Energieversorgung für wichtige Grundbedürfnisse bei gleichzeitiger Vermeidung einseitiger Abhängigkeiten von nicht erneuerbaren, importierten Energieträgern und grosstechnologischen Anlagen sowie die vorrangige Benutzung landeseigener, erneuerbarer Energiequellen unter Schonung der Landschaft. Diese Initiative wurde von den bürgerlichen Parteien vehement bekämpft. Von den gleichen bürgerlichen Parteien, die heute so lautstark Versäumnisse bei der Energieversorgung kritisieren. Leider erreichte die Volksinitiative eine Ja-Stimmen-Anteil von nur knapp 46%. Die fehlenden etwas mehr als 4% sind diesem bürgerlichen Widerstand geschuldet. Wäre die Initiative damals, vor bald 40 Jahren, durchgekommen und zwischenzeitlich umgesetzt, könnte die Schweiz dem nächsten Winter gelassen entgegensehen. Wir hätten auch bereits einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele geleistet.

Im Jahr 1988 diffamierte das damalige FDP-Schwergewicht Ulrich Bremi den Erlass eines Stromspargesetzes als das «Allerdümmste». Es ging damals um eine Motion, welche unter anderem auch die Förderung der Sonnenenergie beinhaltete. Die Motion wurde abgelehnt.

Kurz nach der Katastrophe von Fukushima forderte der SP-Ständerat Zanetti im Juni 2011 eine Solaranlagepflicht bei der Erstellung von Gebäuden. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung dieser Motion mit der Begründung, eine solche Pflicht sei problematisch und die Anlagen könnten noch nicht rentabel betrieben werden. Der Ständerat lehnte die Motion ab.

Das sind nur drei Beispiele aus einer langen Liste von Versäumnissen in der Energiepolitik der letzten Jahrzehnte. Erst die aktuelle Versorgungskrise löst nun in der Politik plötzlich hektische Betriebsamkeit aus. Politische Schnellschüsse sind jedoch leider selten durchdacht, wie die nachfolgenden Beispiele zeigen.

Nach dem Willen der ständerätlichen Energiekommission soll es für die Energiewende plötzlich notwendig sein, bei den Wasserkraftwerken die Restwassermengen abzuschaffen. Genügende Restwassermengen sind jedoch seit 1975 in der Verfassung verankert und seit 1991 im Gewässerschutzgesetz vorgeschrieben. Dabei handelt es sich bereits um einen Kompromiss zwischen der Wasserkraftnutzung und den Interessen der Umwelt.

Der Abbau des Umweltrechts ist verfassungswidrig

Mitte September dieses Jahres beschloss der Ständerat nicht nur die sinnvolle Pflicht zur Nutzung der Solarenergie bei Gebäuden mit der ebenso sinnvollen Möglichkeit von Ausnahmen. Er beschloss zugleich, dass Fotovoltaik-Grossanlagen ohne Planungspflicht und ohne Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) gebaut werden können. Das Interesse an ihrer Realisierung geht nun den anderen nationalen und kantonalen Interessen vor, insbesondere auch jenen des Biotopschutzes.

Der Ständerat verkennt, dass wir nicht nur eine Klimakrise haben, sondern auch eine ebenso ernste Biodiversitätskrise. Zudem ignoriert der Ständerat das Raumplanungsgesetz, welches seit 2014 aus guten Gründen vorschreibt, dass Vorhaben mit gewichtigen Auswirkungen auf Raum und Umwelt einer Grundlage im Richtplan bedürfen.

Der Verfassungsartikel zur Energiepolitik enthält verschiedene gleichrangige Ziele. Zielkonflikte sind dieser Verfassungsbestimmung inhärent, teilweise sogar innerhalb der einzelnen Ziele. So spricht beispielsweise bei der umweltverträglichen Energieversorgung der Teilgehalt «Erhalt der natürlichen Umwelt» gegen den Bau von Solaranlagen in der unbebauten Natur, während der Teilgehalt «Ausbau der Produktion von Elektrizität aus erneuerbaren Energien» dafür spricht. Das Bundesamt für Justiz kommt in einem Gutachten vom 20. September 2022 zum klaren Schluss, dass der vom Ständerat beschlossene absolute Vorrang des Interesses an der Realisierung der Fotovoltaik-Grossanlagen mit Artikel 89 Absatz 1 der Bundesverfassung nicht vereinbar und somit verfassungswidrig ist. Von unseren Parlamentariern dürfte erwartet werden, dass sie die Verfassung bei ihrer gesetzgeberischen Tätigkeit respektieren.

Mit der Abschaffung der UVP-Pflicht wird zugleich das Beschwerderecht der Umweltverbände nach dem Umweltschutzgesetz ausgehebelt. Das Verbandsbeschwerderecht wird als Verhinderungsinstrument gebrandmarkt, obwohl Verbandsbeschwerden seit Jahren überdurchschnittlich erfolgreich sind. Während beim Bundesgericht in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten in den letzten fünf Jahren durchschnittlich nur gerade knapp 18% der Beschwerden ganz oder teilweise erfolgreich waren, sind es beim Verbandsbeschwerderecht in allen Instanzen rund 62%. In mehr als drei von fünf Fällen waren somit schon von Rechts wegen Verbesserungen zugunsten der Umwelt notwendig.

Wie polemisch die Kontroverse um das Verbandsbeschwerderecht ist, zeigt auch das Beispiel des Pumpspeicherkraftwerks Lago Bianco. Dieses Projekt mit einer Leistung in der Grössenordnung des AKW Gösgen ist seit 2016 rechtskräftig bewilligt, wurde jedoch wegen fehlender Wirtschaftlichkeit bisher nicht realisiert.

Fazit: Nun wird also das Kind gleich mit dem Bad ausgeschüttet. Man wird den Verdacht nicht los, dass hier wider besseres Wissen gleich auch die Gunst der Stunde zur Abschaffung wichtiger natur- und umweltschutzrechtlicher Normen genutzt wird, weil diese kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen im Weg stehen. Einmal mehr werden die nächsten Generationen den Preis dafür bezahlen.

Martin Pestalozzi

Martin Pestalozzi

Rechtsanwalt und im Beirat der Schweizerischen Energie-Stiftung SES



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