energiestiftung.ch energiestiftung.ch Blog → Blogbeitrag

Täler sperren und Berge versetzen

Dr. Jürg Müller,

Um die Energiewende zu meistern, braucht die Schweiz wieder mehr Pioniergeist.

«Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen». Ja, was würde der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt zum geplanten Umbau des Energiesystems sagen? Die Aufgabe ist herausfordernd und mag so manchem visionär erscheinen. Doch wer einen Blick zurück wagt, erkennt: Das Schweizer Energiesystem wurde schon mehrmals auf den Kopf gestellt.

Die Vergangenheit lehrt uns zudem, dass oft erst Krisen Veränderungen bewirken. Während des Ersten Weltkrieges führte etwa die Knappheit an Kohle zu einer forcierten Elektrifizierung. Ganze Täler wurden für den Ausbau der heimischen Wasserkraft gesperrt, um so die Versorgungssicherheit zu erhöhen.

In den darauffolgenden Zeiten des Wirtschaftswunders galt es dann, Energie in grossem Umfang für die breite Bevölkerung verfügbar zu machen. Man stellte von Kohle auf Erdöl um, baute die Wasserkraft stark aus und führte die Schweiz ins Atomzeitalter. Bei diesem massiven Ausbau stand vor allem die Wirtschaftlichkeit im Zentrum.

Ab den 1960er Jahren gerieten jedoch sowohl Erdöl als auch die Atomenergie gesellschaftlich unter Druck. Es war die Zeit, als Bücher wie «Silent Spring» erschienen, die erste Klimakonferenz stattfand und eine neue Ökologiebewegung gegen den Bau von Kernkraftwerken demonstrierte. Die Nachhaltigkeit gewann in der Energiepolitik zunehmend an Gewicht.

Die drei historischen Episoden stehen damit sinnbildlich für die drei Seiten des Energie-Trilemmas. Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit: Innerhalb dieser drei Ziele muss die Politik ein Optimum finden. Dabei hat jede Ecke des Trilemmas ihre eigene Lobby, weshalb selbst kleinste Reformvorhaben immer wieder von wechselnden Mehrheiten versenkt werden.

Das zunehmend polarisierte Umfeld erschwert die Konsensfindung zusätzlich. Eine gemeinsame Vision könnte hier Abhilfe schaffen. Helmut Schmidt ist demnach dezidiert zu widersprechen. Für Visionen braucht es keinen Arzt – im Gegenteil. Unsere Zeit krankt gerade am fehlenden visionären Pioniergeist. Ein solcher kann nämlich nicht nur Täler sperren, sondern auch Berge versetzen.

Damit Private diesen Pioniergeist leben können, braucht es auch in der Politik visionäre Ansätze: weg vom Klein-Klein, hin zu den grossen Würfen. Eine vollständige Strommarktöffnung, kombiniert mit einer konsequenten CO2-Lenkungsabgabe, würde die Rahmenbedingungen öffnen und konsequent auf die Zukunft ausrichten. Solchen Pioniergeist braucht das Land – nicht nur, aber besonders auch in der Energiepolitik.

Dr. Jürg Müller

Direktor Avenir Suisse



Zurück