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12 Jahre nach Fukushima: Japans Energiepolitik bleibt wankelmütig

Noriaki Yamashita & Matthäus Bertram,

Der 11. März 2011 hat die Mär von der Sicherheit japanischer Atomkraftwerke platzen lassen. Seither stellt sich für das Land die Frage: In welche Richtung soll es weiter gehen?

Bis 2030 plant die Regierung, den CO2-Ausstoß um 46% zu reduzieren. Anschließend soll bis 2050 das Ziel der Klimaneutralität erreicht sein. Das eigens dafür geschaffene Gremium GX (Grüne Transformation) nahm im Juli 2022 seine Arbeit auf.  Was vom Namen her wie ein Schritt in die richtige Richtung klingt, kann bei genauerer Betrachtung der Inhalte für leichte Verwunderung sorgen. So plant die Regierung neben dem Ausbau der erneuerbaren Energien auch die Rückkehr zur Atomkraft. Bis zur Katastrophe von Fukushima wurde knapp ein Drittel des Stroms aus Atomkraft gewonnen. Nach der Dreifachkatastrophe wurden jedoch zunächst alle Meiler wegen Sicherheitsbedenken heruntergefahren. 2021 lag der Anteil der Stromerzeugung aus Atomkraft bei etwa 6%. Mit der neuen Agenda soll dieser bis 2030 wieder auf 20–22% erhöht werden. Dieses Ergebnis soll mit der Laufzeitverlängerung bestehender Reaktoren auf 60 Jahre und dem Bau neuer „innovativer“ Anlagen erzielt werden.

Energiepolitische Widersprüche

Da der Grossteil der derzeitigen Energieerzeugung auf fossilen Brennstoffen beruht, ist für Japan eine zukünftige Diversität an Energiequellen wichtig. Als Ziel für den Anteil von erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung bis 2030 gibt die Regierung 36–38 % an – ein Wert, der im europäischen Durchschnitt bereits 2020 erreicht wurde. ,  Sie betitelt die erneuerbaren Energien zudem als „wichtigste Energiequelle mit oberster Priorität“. Es stellt sich also die Frage, warum die japanische Regierung weiterhin Steuergelder in eine unbeherrschbare Technologie investiert.
Zum einen ist da das „Atomare-Dorf“ – die mächtige Atomlobby Japans. Durch das vorübergehende Abschalten der Atomkraftwerke musste die Branche in den letzten Jahren massive Verluste einstecken. Diese sollen nun durch die verlängerten Laufzeiten wieder reingeholt werden. Zum anderen gibt es Bedenken in der eigenen Bevölkerung bezüglich erneuerbarer Energien. Diese reichen von Sicherheitsaspekten über Eingriffe ins Landschaftsbild bis zur fehlenden Einbeziehung von Anwohnerinnen und Anwohnern. Eine mögliche Lösung zur Zerstreuung dieser Bedenken kann die Implementierung von Projekten auf lokaler Ebene sein. Der Profit aus den Projekten würde nicht abwandern, lokale Gegebenheiten würden besser berücksichtigt und die Meinung der Bürgerinnen und Bürger mit einbezogen. Um den Ausbau der erneuerbaren Energien zudem stärker zu fördern, wurde bereits kurz nach der Katastrophe vom 11. März 2011 der sogenannte Feed-in-Tarif eingeführt. Dadurch konnte insbesondere die Einführung der Solarenergie beschleunigt werden. So konnten bis Ende 2022 konnten mit diesem Instrument 63 GW Solarenergie und 2.4 GW Windkraft zugebaut werden.  Die erneuerbare Stromproduktion hat im japanischen Strommix inzwischen einen Anteil von 20.3%. Zum Vergleich: Japanische AKW liefern aktuell 6.9.% des Stroms.

Ein Ausflug nach Tomioka, Nihonmatsu und Futaba

Doch wie kommt eigentlich der Wiederaufbau in den von der Katastrophe von Fukushima betroffenen Gebieten voran? Die Stadt Nihonmatsu liegt weit ausserhalb der Sperrzonen. Auch hier wurden nach dem Unglück leicht erhöhte Strahlungswerte gemessen. Die Orte Tomioka und Futaba liegen hingegen nur wenige Kilometer vom Kraftwerk Fukushima Daiichi entfernt und waren von allen drei Katastrophen massiv betroffen. Die Regierung zahlte den Menschen Entschädigungen, baute Häuser und Strassen wieder auf und dekontaminierte die Gegend. Diese Bemühungen bringen zwar Teile der Infrastruktur zurück, wahrscheinlich aber nicht das Leben in die Orte. Für Tomioka wurde der Evakuierungsbefehl für Einwohner 2017 grösstenteils aufgehoben. Vor der Katastrophe lebten hier 15‘000 Menschen. Zurückgekehrt sind bisher nur etwa 2‘000 von ihnen. Viele Geflüchtete haben sich über die Jahre in entfernten Gebieten neu niedergelassen. Denn die Jobmöglichkeiten sind gering, Arztpraxen und Freizeitangebote sind rar. Dies sind keine positiven Aussichten, um Familien und junge Menschen anzulocken. Was die Regierung nicht schafft, versuchen die Einwohner in Eigenregie. Mit verschieden gemeinschaftlichen Projekten wollen sie wieder eine attraktive Stadt kreieren. So wurde beispielsweise 2018 ein Solarpark gegründet, der die wirtschaftliche Leistung der Kommune wieder ankurbeln soll.

In der Stadt Nihonmatsu fördert auch Herr Kondo die Erzeugung von Solarstrom auf seinem Hof. Der ursprüngliche Biobauer startete im November 2022 zusammen mit Partnern ein Agri-Photovoltaik Projekt. Hierbei werden die Agrarflächen gemeinschaftlich zur Stromerzeugung sowie zum Anbau von Trauben, Buchweizen und Sojabohnen genutzt. Andere Landwirte, die wie er damals fliehen mussten, beteiligen sich an dem Projekt. Die grossen Bemühungen Herrn Kondos wurden sogar als Teil einer Dokumentation verfilmt.

Während sich Tomioka und Nihonmatsu durch die Selbsthilfe ihrer Bewohner auf dem richtigen Weg befinden, so ist die Lage in Futaba deutlich ernüchternder. 85% des Stadtgebietes befinden sich auch nach 12 Jahren noch immer in der „schwer zugänglichen Zone“. Das heisst, dass das Begehen dieser Gebiete weiterhin verboten ist. Von ehemals 7‘000 Einwohnerinnen und Einwohnern sind bisher lediglich 60 zurückgekehrt. In ausgewiesenen Bereichen, meist unter freiem Himmel, lagern tonnenweise riesige Säcke mit kontaminierter Erde. Ein Platz für deren Endlagerung ist noch immer nicht in Sicht.

Besonders in den radioaktiv kontaminierten Gebieten der Präfektur Fukushima geht der Wiederaufbau nur schleppend voran und wird noch Jahre bis Jahrzehnte andauern. Erdbeben und Tsunamis sind Ereignisse, mit denen sich Japan seit jeher beschäftigen muss. Das Reaktorunglück von Fukushima aber brachte eine neue Art von Katastrophe in das Land der aufgehenden Sonne. Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, dass die Regierung das Land auch in den nächsten Jahrzehnten dieser Gefahr aussetzen will.

Noriaki Yamashita

Noriaki Yamashita

Senior Researcher, Institute for Sustainable Energy Policies / Japan

Noriaki Yamashita

Matthäus Bertram

Praktikant, Institute for Sustainable Energy Policies



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