Baut Panels statt Bunker
Dank Solarenergie kann sich die Schweiz künftig mit umweltfreundlichem Strom selbst versorgen. Der geforderte Umbau ist ein Generationenprojekt. Letztlich leisten wir damit aber einen Beitrag zum Frieden.
Von Daniel Bütler & Nils Epprecht*
Illustrationen: Tomas Fryscak
Mit dem Krieg in der Ukraine ist die Angst vor einem russischen Atomschlag zurück. Als sich die Schweiz in den 1960ern vor einem Nuklearangriff der Sowjets fürchtete, setzte man auf Bunker. Bis vor wenigen Jahren mussten Bauherr:innen in ihrem Eigenheim einen Schutzraum einbauen. Bezahlt aus der eigenen Kasse. So wurde die Schweiz das Land mit der vermutlich höchsten Bunkerdichte weltweit. Generationen von Hausbesitzer:innen akzeptierten diese «Zwangsmassnahme» klaglos. Es ging ja um den Schutz des eigenen Lebens.
Auch wenn das 20. Jahrhundert gerade ein unrühmliches Comeback feiert, bleibt die Klimakrise die grösste Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Drei Viertel der Schweizer Treibhausgasemissionen stammen aus dem Verbrennen fossiler Energieträger – zum Heizen, für Verkehr und Industrie. Das entscheidende Mittel, um Treibhausgasemissionen zu vermeiden, sind erneuerbare Energien, beispielsweise in Form von Photovoltaik. Rund 15’000 Franken kostet eine Solaranlage auf einem Einfamilienhaus. Gleich viel wie ein Schutzraum.
Solarmodule schützen uns langfristig vor gewalttätigen Konflikten.
Solarenergie in der Pole-Position
Um die Treibhausgasemissionen auf null zu reduzieren, brauchen wir neue Kapazitäten, beispielsweise, um den Verkehr zu elektrifizieren. Hinzu kommt, dass der wegfallende Atomstrom ersetzt werden muss und es unsicher ist, wie viel Strom die Schweiz künftig importieren kann. Die Dimensionen des notwendigen Umbaus sind gewaltig. Eine Greenpeace-Studie zur Dekarbonisierung unseres Energiesystems zeigt: Um das Ziel einer maximalen Erderwärmung von 1,5 Grad zu unterstützen, muss die Schweiz bis 2035 Kapazitäten von 35 bis 45 Terawattstunden (TWh: Milliarden Kilowattstunden) neu bauen. Zum Vergleich: 2020 verbrauchte das Land rund 56 TWh Strom.
In der Pole-Position steht die Solarenergie. Sie kann viel schneller als alle anderen Energieformen installiert werden und ist heute bei Neuanlagen schon am günstigsten. Bei der Wasserkraft gilt das Potenzial als praktisch ausgeschöpft. Neue Wasserkraftwerke bedeuten immer einen grösseren Eingriff in die Natur und können der Biodiversität schaden. Für Windkraft sind die engräumigen Verhältnisse in der Schweiz nicht ideal, was immer wieder zu politischem Widerstand führt.
Die Angst vor der Atombombe
Mit politischem Widerstand gegen Energieprojekte kennt sich die Schweiz aus. Gegen Talsperren und insbesondere gegen Atomkraftwerke kam es vor über 50 Jahren zu Massenprotesten. Die Gründung der umwelt- wie auch der friedenspolitischen Bewegungen gehen auf denselben Urmoment zurück, wie das Schweizer Bunkerobligatorium: die sowjetische Atombombe. 1953 musste der damalige US-Präsident Dwight D. Eisenhower in einer Rede vor der UN-Vollversammlung eingestehen: «Das schreckliche Geheimnis und die furchterregenden Maschinen der Atommacht gehören nicht uns allein.» Die Atombombenabwürfe in Hiroshima und Nagasaki hatten acht Jahre zuvor den zweiten Weltkrieg beendet und den Startschuss für das nukleare Wettrüsten zwischen Ost und West gegeben. Eisenhower suchte nach einem neuen Weg, um den USA möglichst umfassende Kontrolle über die Atomtechnologie zu sichern. «Es reicht nicht aus, die Waffe aus den Händen der Soldaten zu nehmen. Sie muss in die Hände derer gelegt werden, die es verstehen, ihre militärische Hülle abzustreifen und sie den Künsten des Friedens anzupassen», schlug er deshalb vor. Unter der Schirmherrschaft einer Atomenergieagentur der Vereinten Nationen und damit unter penibler Kontrolle der USA sollte dem sowjetischen und potenziellen weiteren Atomwaffenprogrammen der Nährboden entzogen werden, indem spaltbares Material der zivilen Stromproduktion zugeführt wurde. Die Idee Atoms for Peace war geboren.
Alpine Photovoltaik ist gut für die Versorgung im Winter.
Dem Solarausbau stehen Hürden im Weg
Die Ölkrisen in den 1970ern halfen mit, die Atomkraft als beständige Energiequelle zu etablieren. In der Schweiz zeigte sich dies durch den Bau der AKW Gösgen und Leibstadt. Spätestens seit den 1990ern setzten die Atompromotor:innen auf ein weiteres Argument: die Atomenergie als klimafreundliche Energie.
Das Narrativ feiert dieser Tage und Wochen gerade seine x-te Renaissance. Atomenergie weist zwar eine relativ gute CO2-Bilanz auf, doch die gesamte Umweltbilanz und die Langzeitrisiken sind verheerend. Ausserdem ist sie viel teurer als erneuerbare Energie. Daher weisen Schweizer Energieunternehmen den Bau neuer AKW weit von sich. Genau wie die zuständige Ständeratskommission. Auch bürgerliche Politiker:innen sind skeptisch. Der Luzerner FDP-Ständerat Damian Müller sagt: «Wer von einem möglichen AKW-Neubau redet, verkennt die Meinung von Expertinnen und Betreibern. Sie raten aktuell davon ab, weil ein Neubau zu spät käme und zu teuer wäre.» Stattdessen solle man den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben.
Das hat die Schweiz auch per Volksabstimmung beschlossen. 2017 sagte die Mehrheit Ja zur Energiewende. Doch beim Ausbau der neuen erneuerbaren Energien Solar und Wind liegt die Schweiz europaweit im Hintertreffen. Der Anteil von Solarenergie an der gesamten Stromproduktion beträgt knapp 5 %. Windenergie ist praktisch inexistent.
«Vor 2017 fehlte schlicht der Wille zum Ausbau der neuen Erneuerbaren. Man glaubte, man könne notfalls neue AKW bauen», sagt Nadine Masshardt, Berner SP-Nationalrätin und Präsidentin des Stiftungsrats der SES. Die Politik habe sich bisher zu wenig ambitionierte Ziele gesetzt, konstatiert Felix Nipkow, Co-Leiter Klima und erneuerbare Energien bei der SES: «Zudem gab es aus der Strombranche Widerstand, weil man Solarenergie als Konkurrenz betrachtete.» Das habe sich geändert, sagt Masshardt: «Heute ist der Wunsch zum Ausbau da. Aber immer, wenn es konkret wird, hapert es an allen Enden.» Für die Dekarbonisierung bis 2035 muss die Produktion von Solarstrom um den Faktor 12 bis 17 erhöht werden. Der jährliche Zubau sollte sich dafür verfünffachen.
Zentral sind dabei die Gebäude. Auf Dächern und Fassaden könnten gemäss Berechnungen des Bundesamts für Energie Solarpanels mit einer Produktion von bis zu 67 TWh montiert werden. Heute werden erst 4 % der Gebäudeflächen dafür genutzt. In der Vergangenheit bremsten lange Wartefristen bei den Unterstützungsbeiträgen den Solarausbau. Und noch immer rechnet sich die Solarstromproduktion nur für den Eigenverbrauch, nicht aber zum Einspeisen ins Netz, weil viele Stromversorger schlicht zu wenig bezahlen.
Heute werden erst vier Prozent der Gebäudeflächen für die Solarstrom produktion genutzt.
Energiegemeinschaften fördern
Damit mehr Solaranlagen an Gebäuden montiert werden, braucht es Investitionssicherheit, findet die SES. Doch der Bund macht das Gegenteil. Gemäss dem Entwurf zum neuen Energieversorgungsgesetz werden kleinere Solaranlagen noch unrentabler. Die SES fordert, dass es künftig eine garantierte Untergrenze beim Preis für Solarstrom aus kleinen und mittelgrossen Anlagen gibt. Das Parlament muss das Gesetz hier nachbessern.
Bremsend wirkt zudem, dass die Netzbetreiber:innen die vollen Netzgebühren verrechnen, wenn Private Solarstrom lokal handeln möchten. «Für den Stromhandel unter Nachbar:innen braucht es einen Lokaltarif», fordert David Stickelberger vom Branchenverband Swissolar. So könne man Energiegemeinschaften fördern. Österreich habe das eingeführt, seither boome der lokale Solarstromhandel. «Grundsätzlich braucht es für den Ausbau der Solarenergie mehr finanzielle Unterstützung und eine Pflicht», so Stickelberger weiter.
Für Jürg Rohrer, Professor für erneuerbare Energien an der ZHAW, lautet die entscheidende Frage: «Sind wir bereit, Gebäudebesitzer:innen zu verpflichten, ihr Dach mit einer Photovoltaikanlage auszurüsten?» Ein Solarstandard für Neubauten, das Pendant zum Bunkerobligatorium, wird auf Bundesebene diskutiert. Und er scheint mehrheitsfähig. Eine entsprechende Motion von Jacques Bourgeois (FDP) wurde im Nationalrat fast einstimmig angenommen. Trotzdem hat der Bundesrat das Anliegen in seinem Gesetzesentwurf zur Beschleunigung der Verfahren im Energiebereich (noch?) nicht übernommen.
Mit Solaranlagen an Gebäuden wird sich vermutlich nicht der ganze notwendige Zubau stemmen lassen. Genutzt werden können auch Strassen, Parkplätze, Autobahnböschungen und Lärmschutzwände. Panels lassen sich zudem auf freiem Feld installieren. «Wir müssen uns von der Idee verabschieden, dass Solarmodule in der freien Landschaft zwangsläufig negative Effekte haben», sagt Solarexperte Jürg Rohrer. Studien würden zeigen, dass sie sogar die Biodiversität fördern könnten. Rohrer plädiert dafür, auf Freiflächen im Berggebiet Solaranlagen zu erstellen. Hier liesse sich gerade im Winter viel Strom erzeugen.
Gegen solche Anlagen ist Widerstand programmiert. Generell sind Zielkonflikte bei einer grossen Solaroffensive unvermeidbar. Widerstand dürfte von der Hauseigentümerlobby und vom Heimat- oder Landschaftsschutz kommen. Und von den Fossilverbänden. Denn die Solarenergie ist das Paradebeispiel dafür, dass sich die Erneuerbaren vom Nischenprodukt für Freaks zur Bedrohung für die fossile Wirtschaft entwickelt haben. Der Widerstand gegen die Energiewende wird längst professionell organisiert und ist mittlerweile auch in gewissen Parteiprogrammen zuoberst angekommen. Sogar das nüchterne Bundesamt für Energie sah sich kürzlich dazu genötigt, eine Studie herauszugeben, in der Vorurteile gegenüber der Solarenergie wissenschaftlich entkräftet werden.
International sieht das nicht anders aus: Die Klima- und die Energiepolitik sind nicht erst seit der Konkurs gegangenen Nord Stream 2 zum Spielball nationaler Partikularinteressen geworden. An der letzten Klimakonferenz in Glasgow konnte beobachtet werden, wie schwer sich China und die USA taten, angesichts grosser geopolitischer Differenzen einen gemeinsamen Nenner in der Klimapolitik zu finden.
Mit Atoms for Peace lancierte Eisenhower vor fast 70 Jahren bereits einmal einen – allerdings schlecht getarnten – Vorschlag, die Geopolitik zugunsten der Energiepolitik hintenanzustellen. Atomare Friedenspolitik hat seither Tradition. So war das von Michail Gorbatschow, Ronald Reagan und François Mitterrand 1985 lancierte Kernfusionsprojekt ITER Sinnbild für die Annäherung zwischen Ost und West. Dass das Projekt im südfranzösischen Cadarache auch 37 Jahre später noch nicht fertig gebaut ist, ist völlig zweitrangig.
Mit Agri-Photovoltaik können Landwirt:innen Äcker und Felder doppelt nutzen.
Gute Klimapolitik schafft Frieden
Doch just einer von Mitterrands Nachfolgern, der aktuelle französische Präsident Emmanuel Macron, liess Eisenhowers Bluff Ende 2020 ganz offiziell auffliegen: «Die Kernenergie wird weiterhin der Eckpfeiler unserer strategischen Autonomie sein. Sie dient der Abschreckung in verschiedenen Formen, dem Antrieb unserer Atom-U-Boote, für unsere Trägerraketen und für den nuklearen Antrieb unserer Flugzeugträger», sagte er in einer denkwürdigen Rede anlässlich eines Besuchs in der Nuklearschmiede Le Creusot.
Doch im Unterschied zum Kalten Krieg hilft gegen die Klimakrise keine Friedenspolitik, sondern nur die rasche Dekarbonisierung. Umgekehrt gilt jedoch sehr wohl, dass gute Klimapolitik zur Friedenspolitik wird: «Denn Frieden schaffen, heisst nicht nur Gewalt verhindern oder sie abwehren, wenn die Konflikte bereits eskalieren […]. Frieden schaffen heisst auch vorausschauen und dafür sorgen, dass Grundbedürfnisse […] erfüllt werden, auch die berechtigten Ansprüche auf Energie. […] Versorgungssicherheit bedeutet also viel mehr als die Sicherheit, dass das Licht angeht, wenn wir den Schalter drehen. […] Eine Energieversorgung, welche den Lebensraum anderer wahrt und so gewalttätige Konflikte vermeidet, ist langfristig wirtschaftlich rentabel und dient dem globalen Frieden.» Diese Passage aus einem 2009 gehaltenen Referat des damaligen Bundesrats Moritz Leuenberger ist noch immer brandaktuell. Das gilt für den Ukraine-Krieg, in der die Energieabhängigkeit Europas eine zentrale Rolle spielt. Das gilt aber erst recht angesichts steigender Meeresspiegel, Dürren und Naturkatastrophen, die dazu führen, dass Millionen von Menschen ihre Lebensgrundlagen verlieren und zur Flucht gezwungen werden. Der Konflikt von morgen, dessen Nährboden wir heute mit dem fortschreitenden Klimawandel gerade legen.
Es wird Zeit für einen echten energiepolitischen Friedensbeitrag: Solar for Peace! So wie wir einst Bunker bauten, müssen wir nun Solarpanels installieren.
*Die Autoren
Daniel Bütler
Freischaffender Journalist und Texter in Zürich.
www.danielbuetler.ch
Nils Epprecht
Geschäftsleiter
+41 44 275 21 21
nils.epprecht@energiestiftung.ch
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